72 Stunden

72 Stunden

Plötzlich hören wir die Einschläge der Wasserbomben. Rings um das das Boot schlägt eine Bombe nach der anderen ein. Die Detonationen werfen uns hin und her. Wir sind handlungsunfähig. Das Licht flackert. Ausser den Bomben ist es gespenstisch still. Ich sehe zu Werner, unserem Funker, der hier an Board mein bester Freund geworden ist. Aber hier sind wir alle eng zusammengewachsen. Blindes Vertrauen. Oft wochenlang kein Sonnenlicht, da wir nur nachts auftauchen. 44 Männer eingesperrt auf engstem Raum. Werner schüttelte nur den Kopf. In seinen Augen steht Angst.

Wir sind seit 32 Tagen auf See. Heute dann ein Schiff auf dem Radar. Kapitän Butt gibt Kommando zum Abtauchen. Alles läuft gut. Wir tauchen nur wenige Meter. Wir warteten auf das Schiff. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis es in Schussweite ist, Torpedos fertig machen. Feuer! Warten. 10 Sekunden, 15 Sekunden, 20 Sekunden, 25 Sekunden, 30 Sekunden. Schweiss steht auf meiner Stirn. Ich sehe auf die Stoppuhr. Hat der Torpedo sein Ziel verfehlt? Dann schlägt er ein. Wir spüren nach einigen Sekunden die Druckwelle. Kurzer Jubel. Doch dann …

… Die Wasserbomben ziehen einen immer engeren Ring um unser Boot. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Die enormen Druckwellen schleudern uns im Boot umher. Reissen uns zu Boden. An einer Stelle dringt Wasser ein. Nicht viel. Wir stopfen das Leck. Der Wachoffizier meldet „Wir sind getroffen.“ Stille. „Wir sinken.“ Schock. Jeder sucht die Augen des anderen. Sucht Hoffnung. Halt. Es dauert Minuten bis wir begreifen, was der Wachoffizier gerade gesagt hat. Werner muss sofort würgen. Er ist gerade mal 19 Jahre alt. Nicht viel jünger als wir anderen. Wir können nichts tun. Das Boot lässt sich nicht mehr navigieren. Wir können nur noch warten. Ratlos starren wir die sinnlos gewordene Technik an. Werner geht zum Funkgerät und setzt Meldungen ab. Es kommt keine Nachricht zurück. Ich gehe zu ihm. Ich will wissen wie tief wir wohl schon sind. Doch er schüttelt nur den Kopf. „Zu tief, mein Freund, zu tief.“, sagt er.

Ich weiss, dass die Wahrscheinlichkeit im Krieg zu sterben, gross ist . Doch ich dachte immer, wenn dann im Kugelhagel. Heldenhaft im Kampf. Nicht sinnlos auf den Tod wartend.

Ich habe Glück und ergattere eine der Kojen. Nun liege ich hier und schreibe. Nur um mir die Zeit zu vertreiben. Die Kameraden wollen noch einen Torpedo abschiessen, schon allein um Platz zu gewinnen, doch das Ding geht nicht los. Die Maschinen sind ausgefallen. Das Licht flackert bedrohlich. Diese verdammte Stille. Es ist immer so laut gewesen. Und jetzt diese verdammte Stille. Sie macht mich wahnsinnig.

Ich bin kurz eingeschlafen. Dann hat mich ein Schuss geweckt. Butt. Der Kapitän hat sich in der Kommandantenkabine erschossen. „feiges Schwein“, murmeln einige. Recht haben sie. Der Wachoffizier nimmt die Pistole an sich. Er sieht uns alle an. „Wer will noch?“, fragt er in die Runde und hält die Waffe hoch. Alle sehen zu Boden. „Wir verrecken in diesem Scheissboot, so oder so.“, ruft Martin.

Mit Martin bin ich zusammen zur Kriegsmarine gegangen. Wir waren Nachbarn. Der Krieg war weit weg. Wir waren Jungen, keine Männer. 4 Monate Ausbildung. Wir fühlten uns da schon wie Helden. Das ist jetzt 15 Monate her. Und was ist von uns geblieben?

Ein Mädchen. Maria. Mein Mädchen. Sie stand zum Abschied da und winkte mit einem weissen Taschentuch. Wie sehr wünsche ich mir dieses Taschentuch jetzt hierher. Irgendetwas von daheim. Etwas das nicht hierher gehört, mir Hoffnung gibt. Da draussen ist noch eine Welt. Verzeih mir Maria.

Ich bin nicht der Einzige, der verstohlen weint. Doch bald schon gehen uns die Tränen aus. Es ist heiss und der Schweiss vermischt sich mit Tränen, Blut und Urin.

Ich kann es nicht glauben, Werner und Martin spielen mit ein paar anderen Karten. So etwas banales wie Kartenspielen, jetzt. Doch bald schon versammeln sich alle um sie und feuern sie an. Auch ich. Was soll ich sonst tun?

Der Wachoffizier dreht resigniert an den Ventilen. Dann rafft er sich auf, "Smutje in die Kombüse", befielt er.

Bald serviert der Smutje, was die Kombüse noch zu bieten hat. Es ist fast ein Festmahl. Wir reden wieder miteinander. Lachen sogar. Manche weinen auch. Das Essen ist gut. Wirklich. Ich reihe mich bei den Kartenspielern ein. Dann fällt das Licht aus. Wir hatten viel Glück, so lange noch Licht gehabt zu haben.

Ich werde müde. Ob ich wieder aufwache? Ich hoffe nicht. Verzeih mir Maria. Ich hätte nie gehen dürfen.


Paul Lange, Torpedokommandant, U 529

21 Jahre aus Flintbek bei Kiel

14. Februar 1943