Der bedachte Wanderer

Der bedachte Wanderer

Er tritt mit geschultertem Rucksack vor die Tür. Tief atmet er die frische kühle Winterluft ein. Ist das ein herrlicher Tag, denkt er und geht leichten Schrittes durch die  noch leeren Strassen des Bergdorfes. Bald lässt er die Siedlung hinter sich und steigt den schmalen Pfad zu den Feldern hinauf. Die Sonne blinzelt über die Berge und verwandelt die schneebedeckten Felder in ein funkelndes Kristallmeer.

Der gefrorene Boden knirscht wehmütig unter den festen Tritten der schweren Wanderschuhen. Das bemerkt allerdings der Wanderer nicht. Er gibt sich ganz der Natur hin. Nimmt die schneebedeckten Berge, die dunklen Bäume des nahen Waldes und das zaghafte Zwitschern der Wintervögel in sich auf.

Bald verlässt er den Weg und geht quer über die Felder. Sieht sich als eins mit dieser wundersamen Natur. Am Waldrand entdeckt er Spuren im Schnee, vielleicht ein Reh. Welch Freude blüht da in ihm auf. Er, der er die Spur entdeckt hat, ist eins mit dem Wald, denkt er. Und begibt sich in die wohlige Stille des Waldes, der Spur folgend. Leise knacken Zweige unter seinen Schuhen. Er bemerkt, welchen Lärm er macht und verharrt in seiner Bewegung. Einzig den Kopf bewegt er vorsichtig.

In den Zweigen hüpft ein Eichhörnchen hin und her. Es will auf den Boden, doch auf halben Wege kehrt es um und klettert den Baum wieder empor. Es beobachtet argwöhnisch den Wanderer, der zwar still stehend, doch ein Fremdkörper im Wald bleibt. Es hüpft auf einen anderen Ast, versucht an diesem Baum hinunter zu klettern, doch wieder kehrt es um und verschwindet schliesslich in den Baumkronen.

Fasziniert hat der Wanderer das Eichhörnchen beobachtet, es sogar versucht zu fotografieren, doch das flinke Tier ist ihm entwischt. Er lauscht in den Wald und hört das Knacken der Zweige. Etwas bewegt sich hier. Dann entdeckt er ein Reh, das im Unterholz herum schleicht und zwischen den Blättern nach Nahrung scharrt. Begeistert reisst er seinen Fotoapparat hervor und will es fotografieren. Doch er macht zu viel Lärm dabei und verjagt das scheue Tier. Ihm selbst schien es gar nicht so laut gewesen zu sein. Doch das Reh war wie gehetzt davon gesprungen.

Das arme Tier, denkt nun der Wanderer. Er hat es bei der Nahrungssuche gestört. Vielleicht ist es sehr hungrig. Und nun kann es nichts essen. Es war so erschrocken, wahrscheinlich klopft sein Herz nun wild in der Brust. Irgendwo wird es sich im Unterholz versteckt haben, und warten, bis der Wald wieder sicher ist. Es hat Angst. Genauso wie das Eichhörnchen, das sich nicht auf den Boden getraut hat, weil er, der Wanderer, ihm Angst gemacht hat.

Wie störend wir doch in der Natur sind, wenn wir voller Enthusiasmus und Naturliebe, wie Trampeltiere durch den Wald stolzieren und kleine Höhlen im Gras dabei kaputt treten und die, die hier ums Überleben kämpfen, stören und erschrecken. Der Wanderer ist über sich selbst schockiert. Er dreht sich auf dem Absatz um und geht zurück ins Dorf. Er tritt dabei in seine zuvor gemachten Spuren, um nicht noch mehr in die Natürlichkeit einzugreifen. Er stellt die schweren Schuhe vor die Tür und nimmt sich vor, so bald nicht wieder in den Wald zu gehen.