Der Club der Mörderinnen /Teil 1

Der Club der Mörderinnen /Teil 1

Zögerlich betraten die Ersten den fast völlig leeren Raum. IhreSchritte hallten drohend durch die Finsternis, die sich grenzenlos auszubreiten schien. Ein einsamer Lichtkegel einer Stehlampe tauchte einen grosszügig angeordneten Stuhlkreis in ein fahles staubiges Licht.

«Treten sie nur näher. Hier beisst niemand.», sagte eine angenehme weiche Stimme im Dunkeln. Wohlbedacht traten acht schlanke schwarze Beinein den Lichtkegel.

«Sie sollten wissen, das oberste Gebot unserer kleinen Runde heisst, gefressen wird nur zu Hause.» Die Stimme klang amüsiert und doch mit einem strengen Unterton. Sie liessihre Tastarmezucken, als sie zu den in der Tür stehenden Schatten sah.

«Ich bitte sie meine Damen. Sie werden doch jetzt keine Angst haben. Nicht nach dem, was sie auf dem Kerbholz haben. Wie ich vermute. Denn sonst wären sie ja nicht zu diesem ungewöhnlichen Clubtreffen erschienen. Nicht wahr?» Die kleine Spinne mit ihrem sympathischenaustralischen Akzent kletterte elegant an einem Stuhlbein hoch und machte es sich in ihrem Trichternetz, das zwischen Lehne und Sitzfläche gespannt war bequem. Ihre elegante rote Musterung auf dem schwarzen Rücken sah aus wie zwei verschmelzende Dreiecke. Sieleuchtete warnend im blassgelben Licht. Doch das Gesicht der Spinnewar entspannt und gutmütig. Sie lud mit ihren langen schwarzen Vorderbeinen die noch immer in der Tür verharrenden Teilnehmerinnen freundlich ein.

Und nun kamen sie. Eine nach der Anderen. Teils bedrückt durch die Bürde, die sie trugen, teils angespannt aggressiv. Elegant schreitend, ängstlich huschend, abschätzend schleichend. Sie waren der Abschaum, die dunkle Seite der Evolution und das sah man ihnen an, wenn auch nur an den Augen.

Es war eine kleine Runde, doch voll mörderischem Potentials. Wer hier her kam, hatte einiges zu erzählen.

«Ich heisse sie herzlich willkommen zu dieser ungewöhnlichen Zusammenkunft. Wie sie selbst feststellen können, sind wir zum Teil sehr verschieden. Doch es eint uns eine Sache. Wir alle haben getötet.» Die kleine Spinne rieb ihre langen Vorderbeine gegeneinander und sah sich in der Runde um. Ein unruhiges Raunen folgte ihrem Blick. Die Teilnehmerinnen sahen scheu zur Seite,flüsterten,hüstelten und scharrten nervös mit den Füssen. Dann trat Stille ein. Die kleine schwarze Spinne trat an den Rand ihres Stuhls. Gespannt sahen die anderen auf. Mit fester Stimme sagte sie laut in den grossen Raum hinein,

«Ich bin eine Rotrückenspinne. Ich stamme aus Australien und bin mit meinem Mann über Belgien eingereist. Und,...» Die Stimme der Spinne wurde leiser und nahm einen traurigen Ton an. «... ich habe meinen Mann zu Tode geliebt und ja ich habe ihn gefressen.» Dann drehte die Spinne sich wieder um und ging zu ihren Netzzurück. Eine bedrückende Stille trat ein. Und die Finsternis schien langsam in den Stuhlkreis zu sickern.

Doch dann war ein leises schüchternes Trippeln auf einem der anderen Stühle zu hören.

«IIIch … bbbin eigentlich eeeine ganz nononormale Hausmaus.», piepsteeine Teilnehmerinmit gebrochenerstotternder Stimme. Ihre weissen Schnurrhaare zitterten nervös. Sie schluckte hörbar, dann sagte sie sehr schnell, «IIIch habe 3 mememeiner Kinder gefressen.» Sie drehte sich schlagartig um und lief hastig auf der Sitzfläche ihres Stuhls herum und hockte sich schliesslich verstohlen an den hinteren Rand.

«Ich habe meine Schwestern umgebracht. Sie waren noch sehr klein, hatten kaum Flaum. Aber immer hunger.», krächzte eine Stimme unter einem Umhang hervor. Ein spitzer Schnabel blitze kurz im trüben Licht der Stehlampe auf. Dann war wieder Ruhe.

«Er hatte mich gefesselt.», sagte nun eine rauchige Stimme. Eine schwarz Spinne mit rotembogenförmige Muster auf ihrem runden Leib trat aus ihrem Netz ins Licht. «Ich hatte Glück und konnte mich befreien. Nun ist er tot.» Die schwarze Witwe trat würdevoll in ihr Netz zurück. Sie zupfte an einigen Fäden und platzierte sich in der Mitte.

Zustimmendes Gemurmel durchlief die Runde.

«Selber Schuld, meine Liebe, würde ich sagen. Ich tötete aus purer Hungersnot. Auch wenn man mir anderes nachsagt. Doch wenn der Hunger so gross ist, dass man kaum noch denken kann. Das muss man erst einmal erleben, bevor man jemanden verurteilt.» Die frommegrüne Gestalt zuckte mit ihrem helmartigen Kopf. «Wenn Gott mir vergibt, dann vergebe ich mir auch. Und das sollten andere auch tun. An Gott glauben und seine Herrlichkeit. Wer weiss schon warum wir tun, was wir tun. Doch er leitet uns auf unserem Wege. Amen.» Die Fangschreckeneigtewürdevoll ihren Kopfund erhob ihre Fangarme zu einem stillen Gebet.

«Amen.», antwortete eine dicke graue Spinne. Sie schlich gebückt auf dem Stuhl nach vorn. Am Rand der Sitzfläche blieb sie hocken. Ihre vielen Augen sahen sich im Kreis um.

«Ich komme aus einer Kommune. Wir leben normalerweise in völliger Dunkelheit. Schon seither bestimmen Rituale meinLeben. Begonnen mit dem rituellen Massenmord an meiner Mutter. Kurz nach dem Schlüpfen habe ich mich mit meinen Geschwistern auf meine Mutter gestürzt und sie gefressen.» Langsam mit abschätzenden Schritten ging die Kellerspinne rückwärts in den Schatten zurück und verharrte dort. Minutenlang lauerte eine unüberbrückbare Stille im Kreis. Dann hörte man leise samtige Schritte von der Tür her sich nähern.

«Hunger. Rituale, Notwehr, Burnout...», schnurrte amüsiert die Stimme der sich nähernden Löwin. «Doch hat eine von euch aus ganz einfachen, mörderischen Gründen getötet? Hat eine von euch aus Lust getötet? Aus Macht? Demütigung? Heimtücke?» Die Löwin setzte sich zwischen die Stühle, leckte genüsslich ihre Pfoten, schlug diese dann übereinander. Auffordernd blickte sie sich in der Runde um. Schüchtern schüttelnden die anderen ihre Köpfe.

«Seht ihr. Ich habe meinen Mann getötet.», Sie hob ihre honiggelbe Stirnpartie und lächelte. «Einfach so.»