Der Dieb
Etwas verwirrt beobachtete ich meinen Mann dabei, wie er gerade versuchte seine Kronjuwelen einigermaßen bequem in einer Socke zurecht zu rücken.
„Was machst du da?“ Meine Frage war berechtigt, denn normalerweise trägt mein Mann schon Unterhosen, vor allem an Arbeitstagen.
Er sah mich verzweifelt an. „Meinst du nicht, dass das geht?“
Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Dann erklärte er mir, er habe keine sauberen Unterhosen mehr im Schrank.
Wie kann das sein? Die haben doch immer von einer Wäsche, bis zur nächsten gereicht. Ich durchsuchte die Bügelwäsche. Nichts. Auf dem Wäscheständer. Nichts. In der Dreckwäsche, zwei Fundstücke. Das war merkwürdig. Aber nicht das einzige Merkwürdige in der letzten Zeit. Mir ist schon länger aufgefallen, dass Dinge verschwinden. Nichts großes, wie der Fernseher oder der Laptop. Und doch vermute ich, dass ein Dieb dahinter steckt. Auch wenn Weihnachten immer näher rückte, war es unwahrscheinlich, dass die Dinge nach dem Motto, „So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit“ einfach so verschwanden.
Die Unterhosen waren aber nur der Gipfel des Eisberges. Nun wo so offensichtlich etwas entwendet wurde, fielen mir immer mehr Sachen ein, die plötzlich verschwunden sind. Zuletzt das Bügelbrett, nachdem ich aber nicht weiter gesucht hatte, da ich die Bügelwäsche ruhig etwas aufschieben konnte. Ich setzte mich also an den Küchentisch und schrieb auf, was ich alles vermisste.
Männerunterhosen Gr. L, ca. 8 Stück
Bügelbrett, mit Steckdose und Kabelhalterung
Weihnachtsdekoration von Tante Hilde, 2 Stück
Katzenfutterschüssel, 1 Stück (stand immer vor der Terrassentür)
Hornhautfeile, schon etwas gebraucht
Teesieb
warmes Wasser zum Duschen
…
Nun das Täterprofil. Was wusste ich vom Täter?
Männlich,
180 cm groß (erfahrungsgemäß, aus langjährigem Krimikonsum),
etwas rund um die Hüften (sonst würden ihm die Unterhosen nicht passen),
ordentliche Erscheinung, (anscheinend legt er Wert auf gebügelte Wäsche),
gepflegte Umgangsformen (Teetrinker)
sensibles Gemüt (immerhin steht er auf Weihnachtsdeko)
Der Täter muss schon über einen längeren Zeitraum unbemerkt ins Haus gelangen. Aber warum kommt er immer wieder zu uns? Ich rühre genüsslich in meinem Teebeuteltee. Ein Stalker! Wahrscheinlich beobachtet er mich gerade. Schon setzte ich mich gerader hin. Gekünstelte Geschäftigkeit im Gesicht, blickte ich mich vorsichtig um. Wo war er, dieser dieser,... mmm vielleicht sah er gar nicht mal so schlecht aus. Was stand auf meinem Täterprofil? Groß, gepflegt, sogar tierlieb. Ich stellte mir einen leicht verwahrlosten Johnny Depp mit Bauchansatz vor. Röte stieg mir ins Gesicht.
So saß ich noch träumend am Tisch, in meinem nun kalten Tee rührend, als mein Mann nach Hause kam. Er hatte ein Bügelbrett unterm Arm. Er hatte unser Bügelbrett unter Arm!
„Wo kommt das denn her?“, wollte ich wissen.
„Ich hatte es meiner Mutter geliehen. Sie wollte es einmal ausprobieren, statt immer auf der alten Wolldecke auf dem Esstisch zu bügeln.“
„Mit all dem neumodischen Kram dran.“ , ertönte die leise quietschende Stimme meiner Schwiegermutter hinter meinem Mann. Die kleine faltige Frau trat hervor. Eingewickelt in ihre Küchenschürze hielt sie ein Paket frisch gebügelter Unterhosen vor sich auf dem ausgestreckten Arm.
„Ganz vorzüglich, dein Bügeltisch, ganz vorzüglich.“ , schmatzte mein runzliger Johnny Depp und schlich in Filzpantoffeln von dannen.