Die Kühlschrankexpedition
Ohne ihr Schwein geht Sybille nirgendwo hin. Sybille, das ist meine kleine Schwester und ich bin Tom. Eigentlich heiße ich Thomas. Doch das klingt voll doof.
Heute wollte ich zu David gehen. Das ist mein Kollege aus der 5a. Wir zocken dann immer Minecraft oder etwas anderes. Bei dem darf ich wenigstens mal Computerspiele spielen. David hat sogar einen eigenen Computer bei sich im Zimmer stehen.
Bei uns zu Hause gibt es nur einen Computer und der steht im Arbeitszimmer. Meistens arbeitet Papa daran, aber manchmal spielt er auch Videospiele.
Wir dürfen das nicht. Sybille und ich. Wir sollen doch lieber draußen spielen, oder mit unseren Spielsachen, meint Mama.
Da finde ich schon, dass unsere Eltern ganz schön altmodisch sind. Macht doch nix, wenn man Mal Videospiele spielt. Daher spiele ich dann immer bei David.
Aber heute soll ich auf Sybille aufpassen. Die kann ich ja nicht einfach mitnehmen. Und ihr blödes Schwein schon gar nicht.
Ich mag Sybille nicht. Sie ist ziemlich nervig, anstrengend und läuft ständig plappernd hinter mir her. Aber weil sie meine Schwester ist, muss ich sie wohl ein bisschen mögen. Naja, dann tu ich das halt, aber mit zu David nehmen? Nein, das tu ich nicht, ganz sicher nicht.
Mama und Papa haben heute keine Zeit, um auf sie aufzupassen, sie mussten zur Bank, oder so. Nun bin ich mit Sybille allein zu Hause. Am liebsten würde ich mich ja einfach wegschleichen. Aber das würde bei meinen Eltern wohl nicht so auf Begeisterung stoßen.
Gerade schiebt Sybille, die alle nur Billy nennen, ihren Lockenkopf in mein Zimmer.
«Geh», sag ich.
«Geh doch selbst», antwortet sie.
«Wenn ich das so einfach könnte», murmel ich vor mich hin.
«Wo willst du dann hin?»
«Ach, halts Maul und lass mich in Ruhe. Ich habe schlechte Laune.» Ich schlage meiner Schwester die Tür vor der Nase zu. Das ist zwar nicht nett, aber ich will sie jetzt einfach nicht sehen.
«Ich hab Angst.» Die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt. «Der Kühlschrank macht so komische Geräusche.»
«Was denn für Geräusche?»
«Der brummt und rauscht dann so. Es hört sich an, als wäre darin ein großes, wuschliges Monster in einem Schneesturm.»
Ich stöhne. «Ein großes, wuschliges Schneemonster?» Sie nickt. «Man, das ist ein Yeti.» Ich schlage mir die Hand gegen die Stirn und schiebe Sybille wieder zur Tür hinaus. Soll sie doch in ihrem Zimmer Yeti spielen. Ich muss meine Pokemonkarten sortieren. David hat einige zum tauschen. Bloß welche kann ich weggeben? So viele hab ich noch nicht und kaum welche doppelt.
Plötzlich kommt ein merkwürdiges Geräusch aus der Küche, es kracht und schnauft, dann schreit Billy kurz und Stille.
«Hallo? Hallo? Ist da wer? Billy?» Langsam gehe ich den langen Flur zur Küche entlang. Er kommt mir jetzt echt viel länger vor. Ein merkwürdiger, käsiger Geruch schlägt mir entgegen. Aus der Küche kommt ein leises Rauschen. Weißes Licht und Kälte kriecht unter der Tür hervor. Der Kühlschrank steht offen.
«Billy?» Das Rauschen wird lauter. Ich starre in den Kühlschrank. Darin erstreckt sich eine weite, weiße Schnee bedeckte Landschaft. Große Spuren führen tief hinein.
Ich schüttele mich. Das kann doch gar nicht sein. Das ist unser Kühlschrank und kein Eisplanet, oder sowas. Ich drehe mich um. Hinter mir unsere Küche, der Tisch, die Stühle, die Reste vom Frühstück, die wir eigentlich wegräumen sollten.
Langsam schiebe ich die Kühlschranktür zu. Doch da sehe ich noch im Augenwinkel, wie Billys Schwein im Schnee herum springt. Es grunzt und ist ganz aufgeregt. Wie kommt das Schwein in unseren Kühlschrank?
Das muss ich auch ausprobieren. Ich ziehe mich am Milchfach hoch, steige über das Gemüsefach und die welken Möhren und schon stehe ich im Schnee, knirschender, kalter Schnee. Noch bevor ich richtig begreife, was gerade passiert ist, pfeift ein eisiger Wind um mich herum. Ich will zurück gehen und mir wenigstens eine Jacke holen, bevor ich mich im Kühlschrank auf die Suche nach meiner Schwester mache. Doch die Tür ist weg. Der ganze Kühlschrank ist weg. Und nun? Mir ist echt Arschkalt und eigentlich habe ich gar keinen Bock hier jetzt durch den Schnee zu stapfen. Ich weiß auch gar nicht, wo ich hin soll.
Doch da sehe ich, wie Billys Schwein im Schnee herum schnüffelt und aufgeregt grunzt.
Oh. nö. Jetzt muss ich auch noch dem Schwein folgen. Die riesigen Fußspuren, die so nach Käse gerochen haben, sind inzwischen verschwunden. Ununterbrochen schneit es. Ich renne dem Schwein, das übrigens Schwein heißt, nach.
Ist Billy etwa von dem Yetimonster entführt wurden? Das sieht ihr mal wieder ähnlich. Monster hören und ihnen nachjagen. bis man von Ihnen entführt wird.
Immer macht sie so ne doofen Sachen und ich krieg dann wieder den Ärger. Doch nun wird mir auch irgendwie komisch zu mute. Wenn sie entführt wurde, dann muss ich sie doch wohl retten? Aber wie? Ich bin auf Socken und im T-Shirt nicht wirklich für einen Polarexpedition gerüstet und Waffen hab ich auch nicht dabei. Ich drehe zur Sicherheit die Taschen meiner Hose auf links, nichts, außer Kekskrümel und Sand. Ich stopfe alles wieder rein und laufe hinter Schwein hinterher.
Langsam lässt der Sturm nach und die Flocken wirbeln nur noch ganz sanft zu Boden. Da sehe ich im Schnee etwas liegen. Etwas hellgelbes. Sieht aus, wie Decken. Doch es sind nur Käsescheiben. Enorm große Käsescheiben. Ich friere, was soll ich machen? Also lege ich mir ein paar Scheiben Gouda um die Schultern und schon ist mir nicht mehr so kalt.
In meinem Käsemantel gehüllt folge ich den Schweinespuren im Schnee. Schwein schnüffelt nach Billys Geruch, doch mein Käsemantel lenkt ihn immer wieder ab. Er knabbert am Saum und rennt dann wieder voraus. Über Butterberge und Sahnehügel. Das Schneegestöber hat nun ganz aufgehört. Es ist alles so still.
In der Ferne taucht ein Graue Schimmer auf. Mühsam stapfen Schwein und ich durch den Knie hohen Schnee. Als wir näher kommen, erkennen wir eine Höhle.
Ich gehe voran. Schwein versteckt sich nun ängstlich hinter mir. Aus der Höhle kommt ein tiefes Brummen und ein fürchterlicher Gestank nach altem Käse.
Ich drücke mich an die Felswand. Von der Decke hängen Gewürzgurkenstalaktiten und tropfen leise.
Erst ist es dunkel, doch dann gewöhnen sich meine Augen an das trübe Licht und ich erkenne einen riesigen Schatten in der Ecke sitzen. Ich drücke mich noch fester gegen die Wand. Sie ist kalt und feucht und gräbt sich in meinen Käsemantel. Da sitzt auch etwas Kleines, zu einer Kugel zusammengerolltes, schniefendes Etwas. Billy.
Das Yetimonster hat also doch Billy entführt. Doch wie soll ich sie jetzt befreien. Das Monster sitzt direkt vor ihr und nun streckt es auch noch seine gewaltige Hand nach ihr aus. Es wird, sie gleich packen und in einem Happs runterschlucken. Ich kann gar nicht hinsehen.
«Neieieieieinn», schreie ich. «Lass sie in Ruhe, du fieses, stinkendes Monster.» Ich renne auf das Monster zu, springe auf seinen Rücken und hämmere mit beiden Fäusten auf seinen Rücken ein.
Doch das Monster ist so groß, das er die Schläge kaum spürt. Wenigstens lässt es von Billy ab. Es greift nach hinter und schnappt mich an meinem Käsemantel.
«Hmmm Gouda. Wie lecker. Ein Brüderchen im Käsemantel. Das ist er also?», fragt das Yetimonster.
«Jap. Das ist mein doofer Bruder.» Billy schaut mich böse an. «Und was machst du hier? Alles machst du mir kaputt. Sogar meine Freundschaften.»
Hä, was ist los? Freundschaft? Wieso Freundschaft?
«Ich denke, das ist ein Yetimonster.»
«Ist es ja auch. Ein richtig, echtes Monster mit stinke Füssen und wuschligem Pelz. Aber es hört mir wenigstens zu und schlägt mir nicht die Tür vor der Nase zu.» Billy streckt ihre Zunge weit raus und das Monster tut das auch. Bäh, hat der eine eklige Zunge. Aber das ist wohl bei Monstern so.
«Sag mal, spinnst du? Ich mache mir Sorgen, dass du entführt wurdest. Stapfe deinem dämlichen Schwein durch den Schnee hinter her, friere mir den Arsch ab und du sitzt hier gemütlich mit deinem stinke Monster und hältst Kaffeeklatsch.»
«Quatsch Kaffeeklatsch. Das Yetimonster hat eben auch keinem zum spielen. Oder was glaubst du wieviel Leute sich hier in unserem Kühlschrank herum treiben? Wir haben uns eben nur unterhalten.»
«Na toll. Nun komm. Wir müssen nach Hause.» Ich nehme Billys Hand die sich ungewöhnlich weich und warm anfühlt und drehe mich um. Plötzlich stehen wir in unserer Küche. Ich atme auf. Nur ein Traum. Yetimonster und Schneestürme im Kühlschrank, sowas kann es ja nicht in echt geben.
Billy schließt die Kühlschranktür und winkt noch einmal kurz hinein. Ich sehe um die Ecke und kann gerade noch ein wuschligen Rücken im Schneegestöber verschwinden sehen.
«Keine Alleingänge mehr, verstanden?» Billy nickt.
«Das heißt, das nächste Mal kommst du gleich mit?», fragt sie aufgeregt.
«Dadadas nächste Mal?» stottere ich und rolle den Goudascheibenumhang zusammen.
«Ich weiß nicht. Wo willst du denn dann hin?» Billy dreht sich zum Herd um. Na wenigstens werden ich da nicht erfrieren.