Im Strassencafe

Im Strassencafe

Die Ferien hätten nicht besser beginnen können. Es schüttete wie aus Eimern. Sintflutartige Regenfälle liessen mich innerlich dafür danken, dass ich noch nie eine Freundin des Campens und Zeltens war.

Blauäugig, wie ich nun mal von Natur aus war, schlich ich mich ohne Schirm und Regenmantel in einer Regenpause, wie ich meinte, aus dem Quartier. Die Luft war angenehm frisch, bezaubernd klar. Im formvollendeten Vordachhopping sprang ich an den Schaufenstern des Boulevards vorbei. Natürlich hatte es sofort wieder zu regnen begonnen, kaum hatte ich ein paar Meter zurückgelegt. Doch ich wollte nicht gleich wiederaufgeben. Jetzt war ich schon einmal draussen, nun wollte ich den Tag auch geniessen.

In den reissenden Flüssen, die gestern noch asphaltierte Strassen gewesen waren, spiegelte sich einladend die bunte Warenauslage. Verzauberte Welten schwammen in sanften Wellen an mir vorbei. Glitzernde Regenbogenwasserfälle trieben die Hauptstrasse hinunter, die dann am Bahnhof durch die grossen Räder der Busse aufgeworfen wurden und in tausend Tropfen zerstoben.

Der geplante Schaufensterbummel konnte mich bei diesem Wetter einfach nicht überzeugen. Ich begann zu frösteln. Die Feuchtigkeit kroch über meine zitternde Haut, wie eine riesige Schlange. Ich hatte mich ein paar Minuten von den bunten Flüssen mit reissen lassen. Doch nun hielt mich nichts mehr in diesem apokalyptischen Regenfluten.Also sprang ich augenblicklich in die nächste geöffnete Tür eines Cafes.

Wie ein nasser Pudel versuchte ich den Regen abzuschütteln. Doch ich war keineswegs ein Pudel, auch kein Spitz oder Bernhardiner. Ich gehörte als Mensch einer primitiven Rasse an, die es verlernt hatte sich an solchem Wetter nicht zu stören und Nässe einfach so abzuschütteln.

Ich stand triefnass, wie viele andere im Eingang des Cafehauses. Dem Gedanken, dem Wetter in einem Cafe zu entkommen, war ich nicht allein gefolgt. Anscheinend war der gesamte Einkaufsboulevard zu Gast in diesem Cafe. Ein Bahnhof könnte nicht ungemütlicher sein. Doch ich fand mit etwas Geduld ein kleines Separee. Ein rundes Tischchen, ein mit rotem Stoff bezogener Stuhl, ein Stück von der langen Bank, die sich an der Wand des Cafes entlang wand und zwei kleine Kissen darauf.

Nachdem sich der Durchgangsverkehr etwas gelegt hatte, fand die Bedienung auch zu meinem Tisch. In kurzer Zeit standen Kaffee und ein Becher Eis vor mir. Und was für ein Eis. Ein Gedicht könnte ich darüber schreiben, wenn ich es nicht schon in einer Geschichte verewigen würde.

Am Nachbartisch sass ein nettes älteres Pärchen. Wenn ich älteres sage, meine ich in diesem Fall steinalt. Sie hatte ein langes faltiges Gesicht voller Witz und Lebensfreude. Er trug dafür den Bart der Weisheit. Sie, die nette Oma mit Bonbons in einer Kristallschale. Er, der ruhige Opa, der Pfeife paffend im Lehnstuhl sitzt und Geschichten erzählt. Sie waren reizend.

Gelegentlich lächelten sie mir zu und ich fühlte mich in ihrer Gegenwart sofort wohl. Müsste die Welt nicht überall so sein, mit alten netten Menschen, die einem die Jugend gönnten? Zum Abschied winkten sie mir zu, wie einer Bekannten, obwohl wir statt Wörter zu wechseln, nur uns amüsiert, aber charmant zugelächelt hatten.

Ich winkte zurück, wie die nicht vorhandene Enkelin, die zurückblieb, um noch Freunde zu treffen. Ich sah ihnen wehmütig nach, wie sie ihre Mäntel zuknöpften, wie er ihr zuvor in den ihren hineinhalf und dann verschwanden sie unter ihren grossen Regenschirmen.

Ein seltsamer Ort, so ein Cafe. Wo man für eine halbe Stunde zu einer Enkelin wird. Lebendig ist es hier, fast wie in einem Zirkus geht es zu. Die Manege immer ein anderer Tisch mit seinen Gästen.

Gerade trat die vierer Gruppe Frauen, die sich zum Essentraf und nun eine akrobatische Tellertauschnummer aufführte, ins Rampenlicht. Zuvor war es das junge Pärchen, dass blind kommunizierte und dabei atemberaubende Fingerfertigkeit auf den beiden Handys bewies. Was allerdings nicht bei allen Zuschauern auf Begeisterung stiess. Als nächste kamen die Clowns, lustig kostümiert mit achtziger Jahre Schnauzer, gelben Blusen, kunststoffumrandeten Brillen und langen Perlenketten. Sie übertönten das ganze Cafe mit ihrem übertriebenen Gelächter.

Was mochte man wohl über mich denken? Die Frau, die seit 20 Minuten vor ihrem dahinschmelzenden Eis sass, es kaum anrührte, dafür unentwegt in ein kleines Büchlein schrieb? Ich war die Solokünstlerin in diesem Ensemble, die die am Ende in die Kuppel hinauf stieg und sich über alle hin wegschwang.

Mein Eis zerlief. Schon fielen die Sahnehäubchen vom aufgetürmten Traum. Ein trauriger Augenblick. Doch das macht nichts, lecker war es trotzdem. Während ich beherzt meine dahinfliessenden Eismassen auflöffelte, schweifte mein Blick immer wieder durch den Gastraum. Erfasste die rennenden Bedienungen, die sogar noch draussen unter den grossen Schirmen bedienen mussten. Scheusslich, wer sass bei diesem Wetter nur draussen? Der Regen verwässert den Kaffee und tränkt den Kuchen. Er kriecht unter die Mäntel und in die Hosenbeine. Ungemütlich musstedas sein. Doch es gibt eben immer welche, die sich das antun mussten. Und das nur wegen einer durchnässten Zigarette zum verdünnten Kaffee.

Ich schüttelte den Zigarettengeruch und den Regen wieder ab. Da stand ich doch lieber wieder in meiner Manege. Bühne frei, jetzt komme ich.

Moment mal, was war das? Da hatte ich mich nur kurz ablenken lassen und schon waren 5 neue Solokünstler aufgetaucht. Das war zu viel. Wenn, dann wollte ich der Star sein und nicht nur eine Nummer unter vielen.

Ich zahlte und verschwand in den herabfallenden Fluten.