In einer stürmischen Nacht (5)

In einer stürmischen Nacht (5)

Der Wirt betrat nur zögerlich den Saal. Er scheute den Anblick der Toten.

„Also, wer hat den Portwein bestellt?“, fragte der Kommissar noch einmal, als der Wirt nicht gleich antwortete und seinen Blick trotzdem nicht von den leblosen Gestalten am Tisch losreissen konnte. Doch dann fing er sich. Er schüttelte sich kurz, als durchfuhr in ein Frösteln, dann sah er den Kommissar an.

„Der Portwein war ein Geschenk des Hauses, um die Nerven zu beruhigen“, murmelte er. „Stimmt etwas damit nicht? Ich habe die Flasche gerade erst geöffnet und selbst die Gläser befüllt.“ Fragend sah er Rudloff an, dann wanderte sein Blick über den Tisch.

„Aber den Wein hat der Herr Bauingenieur von seinem Geschäftsessen mit hier an den Tisch genommen. Da bin ich mir ganz sicher. Er hatte den Wein für seinen Geschäftspartner und den Bürgermeister bestellt. Eine gute Flasche. Der Mann hat Geschmack. Hatte Geschmack.“ Verbesserte er sich, als er auf den zusammengesunkenen Körper des Bauingenieurs sah. Dann fuhr er langsam fort. „Der Bürgermeister hatte seinen Wein nicht angerührt. Anscheinend waren sich die Parteien nicht einig. Der Bürgermeister war ziemlich aufgebracht. Er sprang auf und verliess ziemlich schnell das Lokal. Kurz besprachen sich die Herren noch, dann ging auch der Geschäftspartner. Michaelis telefonierte als plötzlich der Strom ausfiel. Irgendwann ist er zu den anderen im Saal gegangen. Ich habe beim Abräumen dann das volle Glas gesehen und es ihm hinterher gebracht“, erzählte der Wirt nachdenklich. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er das überhaupt bemerkt hatte. Er war gerade in eine intensiven Diskussion verwickelt.“

„Das Glas ist auf jeden Fall auch leer“, bemerkte Rudloff.

„Was wenn nicht der Portwein, sondern der Wein vergiftet war?“, fragte nun Kaplan Friedlich.

„Wollen sie damit sagen, dass eigentlich nicht Michaelis, sondern der Bürgermeister hätte sterben sollen?“, sagte zögerlich der Ratssekretär. Vor entsetzen hielt er sich eine Hand vor den Mund.

„Oder aber jemand hat den Wein erst vergiftet, als er hier im Raum stand“, meinte der Kommissar und ging nachdenklich um den Tisch und besah sich mit einigem Abstand das Glas.

„Wenn der Portwein vergiftet gewesen wäre, dann müsste unsere liebe Frau Battler nun ebenfalls nicht mehr unter uns weilen“, sagte er nachdenklich. Die Grundschullehrerin wurde blass. Alle sahen sie erwartungsvoll an. Doch nichts passierte. "Wir sollten uns einmal die Geschehnisse der Nacht in Erinnerung rufen. Und zwar die bevor der Strom ausfiel.“

„Ich hatte ein kleines Abendessen eingenommen. Mir leisteten die Messmerin und ihre Mutter Gesellschaft. Sie gingen schon bald nach dem Essen. Ich genoss derweil noch ein kleines Bier. Sie werden es mir verzeihen. Zu einem guten Essen gönne ich mir manches Mal ein Bier oder einen Wein.“ Der Dorfkaplan sah sich zufrieden in der Runde um.

„Aber bitte, sie dürfen doch trinken, was sie wollen, wenn sie nicht noch zur Messe oder der Gleichen müssen“, antwortete die Grundschullehrerin.

„Was ist mit ihnen?“, sagte Rudloff und sah Sophie Battler an.

„Ich hatte mich mit einem Freund getroffen“, sagte sie vorsichtig und warf einen zögerlichen Blick zu Daniel Cast. „ Wir haben sehr weit hinten gesessen. Dort wo der Tresen den Rest des Raumes verdeckt. Somit habe ich überhaupt nichts mit bekommen. Bis dann plötzlich das Licht ausging. Ich habe zwar laute Männerstimmen gehört, allerdings nicht gewusst, dass das der Bürgermeister war.“

„Ich schon“, sagte plötzlich der Ratssekretär. Daniel Cast hatte nämlich mit der Grundschullehrerin in dem kleinen Separee hinter dem Tresen gesessen und er hatte die Stimme des Bürgermeisters erkannt.

„Der Bürgermeister war sehr laut geworden. Ich habe nicht viel verstanden, aber es muss wohl um Geld gegangen sein. Wenn ich mich nicht täusche, hat er so etwas gesagt wie, er liesse sich nicht kaufen. Aber sicher bin ich da nicht.“ Daniel Cast hob abwehrend die Hände. „Ich hab ja nicht mal gesehen mit wem er dort sass. Ich habe nur gehofft, dass er mich nicht sieht.“

„Frau Baru. Haben sie etwas gesehen oder gehört? Bevor das Licht ausging?“

Yasmin Baru dachte kurz nach.

„Als ich von der Toilette kam, stürmte Michaelis an mir vorbei. Natürlich hatte ich ihn zu dieser Zeit noch nicht gekannt. Er hatte es sehr eilig. Anscheinend hatte er sich geschnitten oder so etwas. Ich habe etwas Blut an seiner Hand gesehen. Allerdings habe ich nicht weiter darauf geachtet. Ich bin dann zu meinen Freundinnen gegangen, wir wollten gerade das Essen bestellen. Dann habe wir gegessen und ich habe den Vorfall ganz vergessen. Meine Freundinnen mussten leider früher gehen. Ich wollte noch so lange im Wirtshaus warten, bis mein Bus käme, aber der kam nicht. Da war dann auch schon der Strom weg und ich ging zu den anderen in den kleinen Saal.“

„Und dort erkannten sie Michaelis nicht wieder?“, fragte Rudloff.

„Doch schon. Aber ich dachte nicht mehr über die Begegnung vor den Toiletten nach.“

Der Kommissar ging nachdenklich durch den Saal. Er hockte sich neben Michaelis und besah sich seine Hände. Doch er fand nichts daran. Dann nahm er die Aktentasche des Ingenieurs und öffnete sie. Es gab einige Papier und darunter ein grosses Bündel Geld. Wollte Michaelis wirklich den Bürgermeister bestechen?

„Durch das HubInn–Projekt verlor Michaelis sicher viel Geld“, sagte er nachdenklich. Dann durchsuchte er die Papiere. Er legte vorsichtig einige auf den leeren Servierwagen und breitete sie aus. Langsam traten die anderen zu ihm. Sie standen in einem Halbkreis um den Kommissar und sahen erstaunt auf die Unterlagen. Kaufverträge, als Verkäufer eingetragen Jens Amundsen, als Käufer Ingenieursbüro Michaelis. Doch es fehlte überall die Unterschrift. Und auf einem der Verträge waren sogar kleine Blutspritzer zu erkennen. Alle hielten die Luft an. Sie drehten sich zu Michaelis um.

„Er war also an diesem Abend bei Amundsen gewesen und als dieser die Kaufverträge nicht unterschreiben wollte, hat Michaelis Rot gesehen und ihn erstochen. Doch anscheinend hat er ihn nur verletzt. Michaelis kam zum Geschäftsessen mit dem Bürgermeister um ihn entweder umzustimmen und für seine Bauprojekte Vorschub zu erhalten oder aber um sich bei dem HubInn-Projekt einzukaufen. Der Bürgermeister liess sich allerdings nicht umstimmen und für diesen Fall hatte Michaelis vorgesorgt und das Gift dabei. Allerdings hatte der Bürgermeister den Wein nicht angerührt und Michaelis hatte ihn dann in Unwissenheit selbst getrunken.“ So fasste der Kommissar die Geschehnisse dieser Nacht zusammen. Und er lag damit goldrichtig. Als seine Kollegen endlich eintrafen und der Tatort gesichert wurde, fand man bei Michaelis ein Tütchen mit einem Pulver. Natürlich musste das erst in der Gerichtsmedizin untersucht werden und auch die beiden Leichen wurden in die Gerichtsmedizin gebracht. Als alle offiziellen Befragungen abgeschlossen waren, setzte sich die Gruppe im Gastraum zusammen.

„Dann muss Michaelis geschockt gewesen sein, als Amundsen plötzlich herein kam“, sagte Sophie Battler.

„Das glaube ich auch. Als sie Amundsen aus dem Mantel halfen, hatte er vielleicht das Messer bemerkt, allerdings fehlte ja nun dessen Wirkung. Wenn nun Amundsen anfing zu reden?“ Rudloff hatte sich zu den anderen gesetzt. „Da fiel ihm das Gift ein.“

„Natürlich. Er hat ja sofort Wein bestellt“, fiel es Yasmin Baru wieder ein. „Er hat also den armen Amundsen umgebracht, um an das Land zu kommen und dann ...“

„Und dann hat er in seinem Übermut versehentlich den von ihm vergifteten Wein getrunken.“