Integrationsprobleme

Integrationsprobleme

„Ach, du bist die Neue?“, wurde ich in der kleinen Runde begrüßt. Alle starrten mich an. Zögerlich zog ich mir einen Stuhl zurecht und setze mich.

„Ja. Also eigentlich nein. Ich bin Gudrun Schildmeyer und wohne schon …..“ weiter kam ich nicht. Denn schon plapperte die Runde wieder drauf los. Ich versank in meinem Stuhl und lauschte dem Vortrag der Gastgeberin. Der blondgelockten Sabine. Im Gegensatz zu ihnen, wusste ich sehr wohl wer da alles am Tisch saß. Ich war ja nicht dement. Noch nicht. Aber auf dem Dorf war das wohl eine ansteckende Krankheit.

Auf der linken Seite saß Doris, die junge Brünette Friseuse; dann Glockeneva, sie war Mesmerin in der Dorfkirche und trug daher diesen Namen und nicht wegen ihrer Oberweite. Sie war nicht mehr ganz so jung wie die anderen, ich schätze sie auf 50 Jahre. Auf der rechten Seite saßen die drei Frauen vom Bauernhof, ihre Namen kannte ich nicht, aber ich wußte wo sie hingehören, zwei Schwestern und eine Tochter, alle blond, alle rochen nach Stroh und sahen irgendwie natürlich frisch aus. Neben ihnen saß Elsa. Sie sah ich oft auf den Wiesen, dort sammelte sie Kräuter für ihre Teemischungen. Sabine, die Gastgeberin, war eine schlanke Mittdreißigerin, gut aussehend mit einer sympathischen Ausstrahlung.

Und ich, ich war eher Ende Dreißig und wäre schlank, wenn ich bei meinem Gewicht 20 cm größer wäre. Ich war Hausfrau. Jetzt. Und das nun schon seit zwei Jahren. Zwangsläufig, denn mein Mann konnte sich einfach nicht durchringen für unser Baby zu Hause zu bleiben. Er meinte stillen kann eben doch nur die Mama so richtig gut. Ja, und ich war gern zu Hause. Denn ich liebten unseren kleinen Spatz und das zufriedene Glucksen, wenn er an meiner Brust saugte, als wäre es seine letzte Mahlzeit.

Dass wir aufs Land gezogen waren, war unsere gemeinsame Entscheidung. Und nun saß ich hier, in unserem wunderschönen Haus. Im Sommer kümmerte ich mich um den Garten. Im Winter träumte ich vom Garten. Doch das Landleben war nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich kam aus der Stadt. Da waren die Geschäfte fast immer geöffnet, man bekam fast alles zu kaufen und Kultur gab's an jeder Ecke. Auf unserem Dorf gab es ein „Dorfladen to go“, das hieß, ein kleiner Bus fuhr die Dörfer ab und bot einiges, was man zum Leben brauchte. Wenn man nicht pünktlich war, war er auch schon wieder weg.

Kultur, das waren hier die Vereine. Mehr Kultur brauchte der Dörfler nicht. Aber das war es nicht. Ich fühlte mich hier einfach nicht wohl, nicht angekommen. Alle sahen mich meist misstrauisch an. Ob im Laden, oder beim Spazierengehen. Seit zwei Jahren grüßte ich alle, die mir begegnen freundlich und ich bekam nur ein leises Murmeln zurück. Meinen Mann störte das nicht, er arbeitete auswärts und bekam die Dorfpolitik nicht mit. Aber ich musste mich integrieren. Eine Kleinkindgruppe gab es nur im Nachbardorf. Da bin ich nach dem fünften Mal dann nicht mehr hingefahren, weil ich einfach ignoriert wurde. Alle sprachen mit Absicht, da war ich mir ganz sicher, über Dinge, wo ich einfach nicht mitreden konnte und beim Namenabzählen wurde immer wieder gefragt, „ach wie war der Name nochmal?“

Ich hatte mich in zwei Vereine eingeschrieben und besuchte sie seit fast einem Jahr. Jeden Montagabend quälte ich mich beim Frauenturnen, auch um meine Vorschwangerschaftsfigur zurück zu bekommen, und Donnerstags trafen sich die Landfrauen, um Rezepte auszutauschen, über Bücher und Filme zu reden und natürlich ortspolitsche Angelegenheiten zu besprechen. Aber auch hier saß ich nur im Schatten. Meldete ich mich kleinlaut mit meiner Meinung, trat erst Schweigen ein, alle starrten mich an und dann wurde einfach weiter diskutiert. Manchmal fragte eine der Frauen, „Du bist neu, oder?“

Ich bekam das mit der Integration einfach nicht hin. Wie schafften das nur all die Ausländer, die irgendwann irgendwohin einwanderten? Sie lernten binnen kürzester Zeit Sprache und Kultur. Mir blieb dagegen die Dorfkultur völlig fremd. Woran lag das? Ich war auch schon bei meinen Nachbarn gewesen und hatte sie auf einen Kaffee zu mir eingeladen. Zögernd kamen sie, tranken eine Tasse und waren nach zwanzig Minuten lautem Schlürfens wieder gegangen.

Und nun war das meine letzte Hoffnung. Wenn ich es hier und heute nicht schaffte, dann nie. Das war mir klar. Ich musste es hier unter Beweis stellen, ich gehöre dazu!

Sabine war inzwischen dabei ihre Produkte vorzuführen. Sie drehte an der Kurbel der Tuppersalatschüssel, zog das Bändchen vom Speedychef heraus und lies es zurück schnellen und erklärte ausführlich die einfache und schonende Zubereitung der Speisen im TupperGourmetgarer. Ich nahm mir einen der ausgelegten Kataloge und kreuzte mir alles an, was mich beeindruckte. Als ich dann die Bestellliste ausfüllte, schluckte ich kurz. Mit der Summe hätte ich bei Ikea, neben eben diesen Haushaltsprodukten, bloß von der Ikeamarke, noch ein Ecksofa im fröhlich bunten Frühlingsdesign bekommen. Aber was soll's. Die Produkte sind gut und es ist ja für einen guten Zweck. Ich gab also mit zittrigen Händen meine Liste ab. Und dann ging die Tupperparty erst richtig los. Alle plauderten munter durcheinander. Kaffee wurde ausgeschenkt und ein üppiger Kuchenteller wurde herum gereicht.

„Gudrun, möchtest du Milch und Zucker für deinen Kaffee?“, fragte mich Sabine, die den Kaffee ausschenkte. Ich war völlig überrascht und nahm dankend den Kaffee entgegen.

Sabine setzte sich neben mich und begann ein lockeres Gespräch über alles mögliche. So als würden wir uns schon länger kennen, oder wenigstens zwei Jahren.

Seit der Tupperparty ging meine Integration rasant voran. Die Frauen von der Party luden mich zu sich ein, und auch in den Vereinen wurde ich nun von ihnen so richtig eingeführt. Sie erklärten mir die Eigenheiten der Dorfbewohner und erzählten mir alte Geschichten und Verwicklungen.

Und dann, „Hallo, ich begrüße euch. Schön dass so viele zu meiner Tupperparty kommen konnten. Ich bin Gudrun. Ihr kennt mich aus der Nachbarschaft. Heute möchte ich euch einige Frühjahrsangebote von Tupper vorstellen. Viel Spaß.“