Schack-la-klack und das Wintervolk

Schack-la-klack und das Wintervolk

In den fernen Höhlen im dunklen Tal, hinter dem Murmelwald, erzählt man sich dieser Tage wieder Geschichten. Alle sitzen am Feuer beisammen und lauschen den Stimmen der Alten.

Vor den Höhlen tobt der Sturm. Huuuuu, rufen die Winde und jagen sich durchs Tal. An den eisigen Zapfen stimmen sie eine zarte Melodie an, bevor sie weit, weit über die Wipfel der grossen Tannen fliegen und sich in der schwarzen Nacht im Kreise drehen.

Flöckchen, so zart und klein, tanzen im Sturmwind. Hüpfen von Wolke zu Wolke, von Tanne zu Tanne, bis sie schliesslich am Boden zur Ruhe kommen und zu einer weichen weissen Schneedecke zusammenwachsen.

«Hört, was ich euch erzählen werde. Weiter unten, im Süden, auf der anderen Seite des Murmelwaldes, leben seltsame Wesen.»

«Seltsame Wesen. Seltsame Wesen. Seltsame Wesen», hallt es durch die Höhlen.

«Zart sind sie, von schmächtigen Wuchs. Grad so gross, wie du und ich. Doch so dünn, wie ein Holzscheit.

In den Nächten des Wintersturms hocken sie in hölzernen Höhlen, wo aus jedem Loch ein Feuer brennt. Und sie singen, wie die Nordwinde.

Wenn der Tag grau am Himmel hängt, ziehen sie in den Wald und schlagen Holz. Mächtige Bäume können sie umhauen.

Sie tragen seltsame rote und braune Pelze auf Rücken und Kopf und statt Füsse haben sie lederne Hufe. Gefährlich sind sie alle Male. Jagen sich die Schneehügel hinunter und heulen dabei lauter, als der Wind.

Es ist das Wintervolk. Doch seid gewarnt. Kommt ihnen nicht zu nah. Sie verfügen über geheimnisvolle Kräfte.»

«Geheimnisvolle Kräfte. Kräfte. Kräfte» hallte es von den Wänden zurück.

«Nun aber ab in eure Ecken. Jetzt wird geschlafen.» Die Alten schoben das Feuer zusammen, so dass es nur noch ein kleiner glimmender Haufen in der Mitte der Gemeinschaftshöhle war. Die Anderen zogen sich in ihre Nischen zurück. Auch Schack-la-klack.

Er war einer der jüngsten Trolle. Sein über und über mit Haaren bedeckter Körper war kugelrund. Aus dem buschigen Gesicht ragte eine knollige rote Nase und zwei kleine schwarze Knopfaugen sassen direkt darüber.

Schack-la-klack war gar nicht müde. Er rollte in seiner ausgehöhlten Nische hin und her und lauschte dem Wind. Huh, klang das unheimlich. Schatten tanzten an den steinernen Wänden und Schack-la-klack dachte über das Wintervolk nach.

Ob die Alten wohl Recht hatten? Ein kleines Volk, das dem Winter trotzte. Das Schneestürme jagte und mit dem Wind heulte? So richtig konnte er das nicht glauben. Er kratzte sich mit dem grossen Zeh des rechten Fusses das Ohr, das nur halb unter den langen grauen Haaren hervorschaute.

Da fasste er einen Entschluss. Leise räkelte und streckte er sich. Er sah sich in der Höhle um, niemand bemerkte es. Da rollte er sich auf die grossen flachen Füsse und setzte einen Zeh vor den anderen. So kam er nur sehr langsam voran. Doch dafür war er auch sehr sehr leise.

Denn wenn er die Anderen geweckt hätte, wären diese stinksauer auf ihn gewesen. Es gab nämlich nichts, was Trolle so sehr hasten, wie zu früh geweckt zu werden.

Schack-la-klack schlich sich davon.

Vor der grossen Trollhöhle hatte sich der Sturm beruhigt und die Nacht war still und sternenklar. Tausende kleiner Lichter leuchteten am schwarzen Himmel. So etwas hatte der Troll noch nie gesehen.

Er drehte sich im Kreis, ging auf seinen riesigen Füssen einmal um den Höhleneingang herum, setzte sich in den Schnee und sah zu den Sterne hinauf. So weit und gross und so schön war das. Verwundert rieb er sich die dicke Knollnase. Dann rollte er sich auf die Füsse und ging los.

Vor ihm lag der Murmelwald. Im Sommer spielten die Trolle im Wald. Sie sprangen von einem Moospolster zum anderen. Versteckten sich hinter den dicken Baumstämmen und hüpften durch den sprudelnden Bach.

Jetzt war der Wald düster und unheimlich. Leise murmelte und flüsterte es in den Wipfeln. Doch Schack-la-klack war kein Angsthase. Er ging gerade drauf los.

Der Troll brummte ein Lied. Verwundert bemerkte er, dass es wohl keine Tiere im Wald gab. Sie müssen wohl alle schlafen. So wie es die Trolle im Winter tun, dachte er.

Hinter dem Wald lag ein grosses schneebedecktes Feld. Und als er so am Waldrand stand und in die Weite schaute, da huschte etwas an ihm vorbei.

«Wo willst du hin?», fragte der Schneeschuhhase. Schack-la-klack sah sich um. Erst jetzt bemerkte er den kleinen weissen Hasen.

«Ich suche das Wintervolk. Hast du es gesehen?» Der Troll setzte sich in den weichen Schnee und erzählte dem Hasen die Geschichte vom Wintervolk. Der Hase schüttelte die Ohren.

«Nein, weisst du nicht, wie gefährlich sie sind? Sie jagen dich, sie fangen dich, sie fressen dich», sagte der Schneeschuhhase mit bebender Stimme und schon schoss er davon.

«Viel Glück. Du wirst es brauchen», rief er im Davon hoppeln.

«Glück, schuhu. Glück? Wozu braucht ein Troll Glück, schuhu.» Eine Schneeeule landete über dem Troll auf einem Ast. Schnee fiel hinunter.

«Der Hase wünscht mir Glück, weil ich das Wintervolk suche.» Und Schack-la-klack berichtete auch der Eule, was er über das Wintervolk wusste.

«Der Hase hat Recht, schuhu. Riesige Netze werfen sie aus. Jagen dich. Fangen dich. Rupfen dich und fressen dich, schuhu.» Und die Eule flog davon.

Der kleine Troll sass im Schnee und wackelte mit den Füssen. Kann das sein, was der Schneeschuhhase und die Eule sagten?

Der Tag graute und die Sterne verblassten. Schack-la-klack ging klackernd am Waldrand entlang. Seine grossen Füsse schlugen knirschend in den Schnee. Er dachte an das Wintervolk. Klein war es, oder nicht? Hatten die Alten nicht davon gesprochen, wie ein Holzscheit so dünn. Aber wie wollen sie dann Trolle jagen und fangen und fressen?

Da stiess er plötzlich mit etwas zusammen und landeten auf dem Po.

Schack-la-klack sah wie zwischen seinen haarigen Füssen zwei kleine Hände auftauchten, dann eine winzige Nasenspitze und schliesslich ein ganzes, grinsendes, rotes Gesicht.

«Wer bist du denn?», fragte das Mädchen. Sie half Schack-la-klack auf die grossen Füsse.

Das Mädchen überragte den Troll kaum, war dafür aber um so dünner.

«Schack-la-klack», antwortete der Troll.

«Klackediklack?» Das Mädchen lachte und sprang davon. Sie rollte sich über den Schnee. «Komm Klackediklack, Schack-la-klack.» Sie lachte laut und winkte dem Troll zu.

«War das das Wintervolk? Wollte sie ihn jetzt fangen und fressen?»

Schack-la-klack hüpfte dem Mädchen hinterher. Er rollte sich durch den Schnee und sprang in Schneewehen hinein. So tobten die beiden den ganzen Tag.

Das Mädchen nahm den Troll mit zu ihrer Siedlung. Dort standen die Höhlen, die sie aus Holz gebaut hatten. Einfache kleine Höhlen waren das und tatsächlich brannten Feuer darin. Doch es sah gar nicht unheimlich aus.

Das Mädchen zog Schack-la-klack weiter, doch dieser blieb stehen. Er schüttelte den haarigen Kopf. Traurig sah das Mädchen ihn an. Doch sie musste nach Hause. Langsam entfernte sie sich, mehr und mehr. Sie blickte sich noch oft nach Schack-la-klack um. Der winkte ihr zu und sie winkte zurück.

Der Troll blieb noch die ganze Nacht am Waldrand sitzen. Er beobachtete das Wintervolk, wie es die Schneehügel hinunterrutschte und dabei lachte, wie es um ein Lagerfeuer stand und sang und wie schliesslich alle in ihre Holzhöhlen verschwanden und nur noch die leuchtenden Feuer in den Löchern zu sehen waren.

Schack-la-klack schlich sich leise an die Siedlung heran.

Das Mädchen sass mit der Familie um den grossen Esstisch. Ihre Mama zündete die Weihnachtskerzen auf dem Kranz an und Stille trat ein. Da erzählte das Mädchen eine Geschichte. Von den Wintertrollen, die nur bei Schnee heraus kommen würden.

Sie wohnen tief im Wald. Rund und gross und mächtig waren sie. Und wenn sie auf die Erde sprangen, würde das ganze Dorf beben.

Doch die Trolle waren auch gutmütig und sanft zu den Tieren im Wald und zu denen, die es gut mit ihnen meinten. Ihnen schenkten sie ein kleines Stückchen Glück.

Schack-la-klack ging nach Hause. Über ihm leuchtete tausende Sterne und in seinem Herzen brannte ein kleines Feuer.