Sternenkind

Sternenkind

Die alte Scheune ist schief. Sie ist gerade noch so aufrecht, dass der ewige Wind, der um sie herum weht, sie hält. Eine hölzerne Bank stützt die Balken. Wie eine Puppe, die jemand dort vergessen hat, sitzt das Kind auf dieser Bank. Sein Blick ist auf die Hände gerichtet, die unentwegt an den Fingern zählen. Der kleine blonde Schopf hebt sich nicht einmal, als die Frau ihn anspricht.

„Wartest du auf deine Mama?“, fragt sie ihn. Aber er zählt nur leise immer wieder seine Finger.

„Wo ist denn deine Mama? Gehörst du hier her? Wo wohnst du denn?“, versucht die Frau es noch einmal. Aber das Kind lässt sich nicht beirren. Es ist völlig in sich gekehrt.

Noch hängen die Nebel an den Berggipfeln. Doch die ersten Sonnenstrahlen ziehen bereits an der graue Decke der Nacht. Lärmend wecken die Kirchenglocken das verschlafene Dorf. Der Platz belebt sich. Die Leute gehen geschäftig umher. Bleiben kurz am Brunnen stehen und sprechen das Kind an, das dort noch immer auf der hölzernen Bank sitzt. Sie wundern sich über das Kind, das so gar nicht hierher passt. Es reagiert nicht, wenn man es anspricht. Es sitzt nur da und zupft an seinen kleinen Fingern. Ein Kinderrucksack hängt von seinen schmalen Schultern. Doch niemand traut sich ihm den abzunehmen. Es bildet sich eine Menschentraube um das Kind und das Gerede wird laut. Es gibt niemanden der es kennt. Keiner weiß wohin es gehört. Die Kirchenglocken rufen die Gemeinschaft zur Messe. Und schon drängt die Meute in die heiligen Stuben. Der Predigt des Kaplans wird nicht gelauscht, statt dessen wird das Gemurmel in den Kirchenbänken immer lauter. Bis der Geistliche abbricht und seine Schäfchen zur Ordnung ruft. Die erzählen von dem Kind.

„Da muss man doch was machen.“

„So ein kleines Kind kann nicht allein hier herum laufen.“

Und da geht die Herde mit dem Kaplan vornweg zur Scheune. Das Kind aber war verschwunden.

An diesem Tag fand keine Predigt mehr statt. Der Kaplan lauschte den aufgeregten Dorfbewohner. Und alle machten sich auf die Suche nach dem Kind.

Am Abend fand man an einem Berghang eine junge Frau, tot. Sie muss beim Wandern abgerutscht sein. Dann hat der steinige Abhang ihr das Genick gebrochen. Wer diese Frau war, wusste niemand. Der Wanderweg, auf dem sie unterwegs war, hatte zwar seine Tücken, war aber nicht gefährlich. Ein tragischer Unfall. Als man die Leiche abtransportiert hatte, kehrte wieder Ruhe im Dorf ein. Nur noch wenige Tage redete man von der toten Frau, das Kind hatte man ganz vergessen.

Zwischen den grauen Steinen lagen bunte Glasmurmeln. Das Kind griff nach ihnen und sammelte vorsichtig eine nach der anderen auf. Die kleinen Finger bewegten sich unentwegt und zählten die Murmeln in ein braunes Beutelchen. Keine einzige blieb am Boden zurück. Dann hob das Kind einen blutbespritzten Stein auf und legte ihn zu den Murmeln.

Die Nacht hüllte das Dorf in schwarze Wolken. Kein Stern war am Himmel zu sehen. Es herrschte tiefe Dunkelheit. Da vernahm man eine leise Melodie, die sich vom Berg erhob. Ein Funken Licht stieg in den düsteren Himmel und ein einziger Stern begann zu leuchten.