Der glückliche Mann
Es war ein heißer Tag. Die schwüle Luft lag träge auf den bunten Blütenköpfen der Parkrabatten. Schmetterlinge und Schwebfliegen summten leise.
Es war schön. Das Bunt der Beete. Das Plätschern des Springbrunnens und die Schatten der großen Bäume, die den Park säumten.
Auf den Bänken dösten Obdachlose. Liebespaare waren auf den Wiesen verteilt. Und Kinder rannten über die Kieswege. Ein schönes Bild. Idyllisch. Könnte man meinen. Doch irgendetwas schlummerte in den Schatten. Kühle Luft schlängelte sich flach über den Boden. Vom Brunnen kommend. Von den Hecken. Dunkel und geheimnisvoll.
Ein Mann betritt den Park. Fröhlich. Aufgeweckten Schrittes geht er, als würde er erwartet, auf den Springbrunnen zu. Hockt sich an dessen Rand. Lächelt. Fischt nach einem, der darin schwimmenden Insekten.
So weit so gut. Aber was dann? Da sind wir wieder. Sie und ich. Stehen mitten in der Geschichte. Mitten im Park, beobachten den Mann. Er sieht gut aus. Ende vierzig, graumeliertes Haar, im Nacken zusammengefasst zu einem lockeren Zopf. Er wirkt alternativ. Naturliebend.
Aber finden sie die Szene nicht auch merkwürdig? Also, dass der Mann so schnurstracks auf den Springbrunnen zugeht. Er lächelt dabei. Hab ich das erwähnt. Fast wirkt es, als stände jemand hinter dem Springbrunnen und wartet auf ihn. Lächelt ihn an. Aber da ist niemand.
Ich bin Autorin. Ich könnte mir doch eine Geschichte einfallen lassen? Aber ich werde nicht schlau aus der Szene. Was denken sie? Etwas stimmt mit dem Mann nicht. Das ist klar. Er ist zielbewusst. Stoppt dann vor dem Springbrunnen abrupt und hockt sich an dessen Rand.
Hat eine Biene um Hilfe gerufen? Konnte er das hören? Vielleicht fühlen? Oder hatte es gar nichts mit dem Brunnen, mit den ertrinkenden Insekten zu tun? Dachte er gerade an etwas anderes? Etwas schönes? Lag der Springbrunnen nur zufällig mitten auf seinem Weg. Stoppte ihn. Lenkte ihn für einen Moment ab?
Das könnte sein.
Er kam vielleicht gerade von seiner Freundin. Von einer romantischen Liebesnacht. Oder vom Scheidungsrichter, der ihn endlich von der Furie befreit hat, die er 20 Jahre lang erduldet hatte.
Alles ist möglich. Im Moment noch. Aber, wenn ich es erst hier aufgeschrieben habe, dann ändert es alles. Dann ist das Seine Geschichte. Noch kann alles sein. Noch kann er total glücklich sein, ohne Grund. Einfach so.
Er ist gelöst. Im Hier und Jetzt, einfach da. Legt das halbtote Insekt auf den Beckenrand. Flüstert etwas.
In den Bäumen rauscht der Wind. Die Kinder wirbeln Staub auf, der sich langsam auf die Rabatten legt. Die Blüten mit einem grauen Schleier bedeckt.
Der Mann nimmt seinen kleinen Stoffbeutel. Er geht. Seine Unbeschwertheit lässt er zurück. Das Lächeln, das mitleidiges, etwas schmerzliches an sich hat. Sein Schritt ist langsamer. Kürzer. Überlegter.
Was ist passiert? Was könnte passiert sein? In den Augenblicken am Springbrunnen? Sie waren doch dabei. Gerade eben, mit mir. Wir standen abseits und haben den Mann beobachtet. Wir haben gemeinsam nachgedacht, was ihn denn Antrieb. Was ihn so glücklich gemacht hatte. Doch nun war sein Glück verschwunden. Schwamm, meinetwegen, auf den kleinen Wellen des Springbrunnens.
Doch das interessiert sie ja nicht. Sie sind der Leser. Sie möchten jetzt genau wissen, was passiert ist. Und was passieren wird.
Ich habe sie in der Hand. Es ist meine Geschichte. Wenn ich sie nun beende, werden sie gar nichts erfahren. Nichts über den Mann. Unbefriedigt werden sie über diese dumme Geschichte schimpfen.
Aber denken sie mal darüber nach. Sind es nicht diese Geschichten, die uns täglich begegnen? Menschen tauchen auf und verlassen die Szene. Ohne, dass wir auch nur das geringste über sie erfahren. Obwohl sie interessante Details hinterlassen. Wir hatten einen kurzen Einblick in ihr Leben.
So auch hier. Wir wissen nicht, wo der Mann herkam. Was ihn so glücklich gemacht hatte. Warum er das Insekt gerettet hat und sich selbst, ein paar Minuten später hinterm Bahnhof auf die Gleise stürzte.
Es ist traurig. Ja, das Ende ist traurig. Erschreckend. Aber wenn wir nur die Szene im Park betrachten, so ist dieser Mann zufrieden und glücklich. Wir wissen nicht warum. Er kommt und geht. Und lächelt. In den Bäumen rauscht der Wind und über die Kieswege rennen spielende Kinder.