Der Skigott

Der Skigott

Die Tür geht auf und er tritt herein. Was für ein Mann. Schon sein erster Schritt sagt, „Ich bin dein Gott.“ Er atmet tief ein, so dass sich seine Brust weitet. Sein Designer-Strickpullover spannt sich über dem festen Oberkörper. Sein gegeltes Haar ist zurück gekämmt und eine schicke Sonnenbrille krönt sein Haupt. Er dreht leicht den Kopf und setzt seinen Hier-bin-ich-Schritt in den Raum. Sofort verstummen die Gespräche. In der Berghütte wird es mit einem Mal ruhig. Der Wirt hinterm Tresen lässt das Bierglas, das er gerade befüllte, langsam sinken. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Genau dafür hatte er den ganzen Sommer trainiert, um jetzt hier auf der Skihütte die perfekte Show abzuliefern.

Das ganze Jahr hatte er sich darauf gefreut, Magazine und Sportgeschäfte für das angesagteste Outfit durchstöbert. Er las alles, was man über Ski und Wintersport auch nur lesen konnte. Er war der Skigott.

Seine nächsten Schritte flüstern „Betet mich an. Betet mich an. Betet mich an.“ Mit angemessenen, fliessenden Bewegungen durchquert er geschmeidig den Raum. Der Holzfussboden gibt seinem leicht wippenden Gang unter den schweren Skischuhen huldvoll nach und die stimmungsvolle Beleuchtung schimmert golden auf seinem Gesicht.

Der Platz am Fenster ist mit Bedacht gewählt. Auf den kleinen Tisch mit Karodeckchen scheint die Mittagssonne. Er setzt sich und lehnt sich zurück, geniesst die Wärme auf seinem Gesicht. Dann schiebt er seine Sonnenbrille über die blaugrauen Augen. Er nimmt die Aura wahr, die ihn umgibt. Die sie ihm geben. Sein Publikum. Verträumt blättert er in der Karte. Langsam beginnen an den anderen Tischen wieder die Gespräche. Leise flüstert man. Niemand will ihn stören. Ab und zu wirft man verstohlen noch einen Blick zu ihm herüber, doch man kehrt dann wieder zu den eigenen Themen zurück.

Er bestellt das Tagesgericht, genau wie die meisten hier. Beim Essen geniesst er die Aussicht auf die Piste. Über die ein oder andere verpatzte Abfahrt lächelt er milde. Leise murmelt er vor sich hin, „Abkanten, erst die Füsse, dann die Knie ...“ Er schüttelt belustigt den Kopf. „Anfängerfehler“, sagt er und sieht sich im Raum um, ob ihm jemand zustimmt. Vom Nachbartisch wird wissend genickt. Er nickt zurück.

Als das Essen kommt, ist er nur halb bei der Sache. Er isst, sieht aber weiterhin nach draussen. Das Essen ist schmackhaft und sättigend. Doch irgendwann ist der Teller leer. Er kratzt noch ein wenig in der Käsesosse umher, dann wartet er auf die Rechnung.

„Na, geht‘s noch mal auf die Piste?“, will die Serviererin wissen. „Es ist herrliches Wetter und der Pulverschnee lockt gerade zu, nicht wahr? Da bleibt man nur ungern länger in der Hütte sitzen?“

„Ja, gleich geht‘s los. Ich hoffe nur, ich bin jetzt nicht zu schwer nach dem guten Essen.“, sagt er belustigt und reibt sich den Bauch. Dann steht er auf. Seine neuen Skischuhe glänzen in der Sonne, als er vor die Hütte tritt. Es ist soweit. Er greift sich seine Ski und geht zur Piste. Tief atmet er die herrliche Luft ein. Er nimmt seine ganze Kraft, seinen ganzen Mut zusammen, setzt den Helm und die Skibrille auf. Dann reiht er sich bei den anderen Skischülern ein. Unsicher begutachtet er nun den kleinen Hang vor ihm.