Ein Wintermorgen
Nie zuvor empfand ich meinen Garten als so wunderschön, wie an diesem Morgen. Die klare Luft war angenehm kühl. Die Mondsichel schien milde durch milchigen Dunst. Und in den Lichtkegeln der Strassenlaternen sah ich dicke Schneeflocken glitzern.
Es war 5:50 am Sonntag morgen. Der Winter hatte über Nacht Einzug gehalten und alles mit einer weichen weissen Decke überzogen. Die hohen Gräser, die Rosenbüsche, die Obstbäume alles wirkte so friedlich, so bezaubern und still auf mich. Wie das Ende der Welt. Ja, richtig das Ende der Welt, denn so will ich es sehen, so wunderschön und beruhigend, wie meinen Wintergarten.
Oh nein. Ich habe keine Todessehnsucht oder dergleichen. Ich stehe mitten im Leben. Ja, sogar mitten in meinem Leben. Ich fühle mich angekommen. Gerade heute, an diesem Morgen. Natürlich stehe ich nicht gern um diese Uhrzeit auf, schon gar nicht sonntags, wo alles noch schläft und die Nacht ums Haus schleicht.
Mein Stubentiger schenkte mir diese frühe Stunde. Ich musste aufstehen, bevor sein anhaltendes Miauen noch das ganze Haus aufwecken würde. Aber ich muss ihm danken. Denn ich bin ganz erfüllt von diesem Morgen. Ausserdem inspirierte mich der winterliche Garten zum Schreiben. Und noch herrscht Stille im Haus. Ich bin nämlich Schriftstellerin. Und zwar eine ziemlich gute. Ja, auch wenn ich noch nicht viel veröffentlicht habe, ich weiss dass ich gut bin. Denn ich schreibe aus dem Herzen heraus, als ein Bedürfnis. Es ist, wie atmen. Ich muss es einfach tun.
Und nur, weil noch keine Bücher von mir die Regale der Buchhandlungen füllen, heisst das nicht, dass ich nicht gut bin. Nein, das heisst nur, dass ich noch nicht entdeckt wurde.
Ausserdem schreibt sich so ein Buch ja nicht über Nacht, das dauert nun mal seine Zeit. Und Zeit hab ich nicht so viel, besser gesagt, Ruhe. Hmm, ich müsste öfter so früh am Morgen aufstehen und schreiben. Doch wie viel Zeit hab ich dann wirklich? Während der Schultage steht der Rest der Familie in einer halben Stunde auf. Da müsste ich schon um vier Uhr beginnen, um wirklich etwas zu schaffen.
Ich muss mich ja erst einmal einarbeiten, rein lesen , rein fühlen, bevor ich weiterschreiben kann. Das kann schon mal eine halbe Stunde dauern. Und Kaffee! Ohne Kaffee geht morgens gar nichts. Ich will damit nicht sagen, dass ich nicht schon mal darüber nachgedacht habe. Ich bin ein Morgenmensch. Ich liebe den Morgen, vor allem den frühen Morgen, wenn alles noch schläft. Wenn die Nacht noch durch den Garten streift und die Katzen jagt, wenn alles friedlich und still ist. Und dann wird der Himmel langsam grau. Wolken zeichnen sich am Horizont ab. Die Berge treten aus ihren Schatten und die Katzen kommen zur Ruhe. Sie legen sich auf ein Kissen, lecken sich die Pfoten und dösen in den Tag hinein.
Heute musste ich mich auf einen der zurückgebliebenen Terrassenstühle setzen, weil der Morgen so bezaubernd war. Ich hatte noch nicht einmal einen Kaffee dabei. Aus dem Haus floss warmes Licht über die angrenzenden Rabatten. Die Gräser neigten sich müde zu Boden, Schnee umhüllte sie watteweich. Das war ein Bild, das ich aufnehmen musste, mit jedem Atemzug.
Inzwischen hab ich Kaffee gemacht und der Stubentiger schläft bereits auf seinem Platz. Nun will ich noch einmal hinaus gehen, noch einmal diesen Morgen geniessen, bevor es dämmert, mit einer wärmenden Tasse Kaffee in der Hand und mich daran freuen, dass es so etwas schönes gibt.