Libellentot
Der Leichengestank haftete an mir, wie die sehnsüchtigen Blicke meiner Nachbarin. Beides konnte ich nicht so einfach loswerden. Luise Milchbier, schaute bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit über den Gartenzaun. Milchbier! Schon bei dem Namen konnte einem schlecht werden. Doch im Gegensatz zum Leichengeruch, hatte ich mich an meine bedrohlich aufdringliche Nachbarin gewöhnt. Dass ich aber nun an meinem freien Wochenende in meinem eigenen Garten mit kriminalistischen Vorgängen zu tun bekam, überrumpelte mich.
An einem Tatort hätte ich die Leiche doch nie berührt. Aber ich war meines Erachtens nicht an einem gottverdammten Tatort. Ich war in meinem wohlverdienten Wochenende. Und das wollte ich geniessen und nicht irgendwelche Leichen aus meinem Gartenteich fischen.
Warum hatte ich sie auch selbst aus dem Wasser gehoben? Der schlaffe leblose Körper, die grossen toten Augen. Und der Gestank. Wie lange war sie nur schon tot? Und die wohl wichtigste Frage, Wie ist sie gestorben? Ich hätte gern die Kollegen gerufen. Doch dies war nicht ihr Fall, es war meiner. Und ich musste ihn allein lösen.
Als ich ins Haus ging, zog ich eine strenge Duftwolke hinter mir her. Ich wusch mir zum wiederholten Mal die Hände, was wenig nützte, aber mein Reinlichkeitsgefühl beruhigte. Mit Block und Stift ging ich wieder zum Teich. Ich notierte alles was mir auffiel, alle Umstände, Tageszeit, Wetter. Sogar die Wasserqualität überprüfte ich. Und dann sah ich sie. Unter der Oberfläche von dichten Seerosenblättern verdeckt, schwammen weitere drei Leichen. Ich erstarrte. Das war doch nicht normal? Irgendetwas stinkt hier gewaltig und ich meine damit nicht meine Hände. Aber dieses Mal war ich schlauer. Ich griff nicht gleich nach den toten Körpern, ich angelte vorsichtig mit einem Stock nach ihnen. Vielleicht war ja doch noch ein Hauch Leben darin. Doch jegliche Hoffnung zerfiel, wie einer der schwarzen Kadaver, als ich ihn mit dem Stock berührte.
Ich kniete verzweifelt am Rand meines einst so idyllischen Gartenteichs. Langsam zogen dunkle Wolken auf. Ich konnte die Spiegelung der scharfen Umrisse im Wasser sehen. Was ich nicht sehen konnte war Leben im Teich. Nichts regte sich. Einzig die toten Körper trieben aufgebläht an der Oberfläche. Was sollte ich nun tun? Den Teich ablassen? Alle Pflanzen und auch die Erde entfernen? Nochmal von vorn beginnen?
5 Jahre hatte ich gebraucht dieses Idyll zu schaffen. Es war mein Augenstern. Ich lasse es nun nicht im Stich! Da war er wieder, der Kommissar. Ich gebe jetzt nicht auf. Noch war nichts verloren. Gut, vier Tote, das war nicht erfreulich, aber noch waren nicht alle Messen gesungen, wie es so schön heisst. Ich habe im Frühjahr nicht mit den Algen gekämpft, um nun selbst Hand an mein Biotop zu legen. Nein, ich hatte bei meiner Tatorterkundung nämlich noch etwas entdeckt. Ein Hoffnungsstreif, eine junge Seerosenknospe bahnte sich ihren Weg an die Oberfläche. Noch war nichts vergebens. Vielleicht hatte es nicht am Wasser, nicht am Biotop gelegen, dass die Libellenlarven verendet sind? Vielleicht ist es eben so. Es ist Natur, und da herrschen andere Gesetzte. Da überlebt nur, wer sich durchbeissen kann. Und ganz offensichtlich, konnten diese vier ihrer Brut sich nicht durchbeissen. Sei es drum. Ich jedenfalls, gehe mir jetzt die Hände waschen, zum fünften Mal.