Zwischen den Jahren

Zwischen den Jahren

Ist ihnen eigentlich schon einmal die Wortverwandtschaft von Jahreswechsel und Wechseljahre aufgefallen? Nein? Dann liegt das vielleicht daran, dass sie ein Mann sind, oder eine viel zu junge Frau. Vielleicht liegt es aber einfach nur daran, dass ich mir über zu viele Dinge Gedanken mache.

Und dennoch bleibe ich dabei, Wechseljahre und Jahreswechsel müssen etwas miteinander zu tun haben. Es ist quasi das selbe Wort, nur vertauscht. Aber was bedeutet das nun?

Der Jahreswechsel ist am Ende des Jahres. Man freut sich darauf. Es werden Partys gefeiert, getrunken und getanzt. Mit Feuerwerk und Countdown wird das neue Jahr begrüsst. Endlich ist das Alte vorbei und man kann sich auf neue Dinge freuen.

Ganz anders bei den Wechseljahren. Die kommen schleichend, in der Mitte deines Lebens, ohne Party, ohne Sekt, ohne Raketen.

Obwohl bei beiden «Veranstaltungen» das Eine endet und etwas neues beginnt, wird das Eine gefeiert und das andere missachtet.

Warum ist das so? Könnten wir nicht auch eine riesige Party geben, wenn wir merken, jetzt ist es soweit, jetzt beginnt der Rest des Lebens?

Ich sag es ihnen, wir werden alt. Aber Frauen in den Vierzigern fühlen sich nicht alt. Ich weiss nicht, wie das in den Fünfzigern, Sechzigern und später ist. Ich fühle mich jedenfalls nicht alt. Und doch, da die ersten Fältchen, die Haut wird weicher und bekommt die ersten Flecken, silberne Strähnen im Haar.

Einige Zeit können wir das alles ignorieren. Doch dann kommen auf einmal Stimmungsschwankungen dazu, ungewöhnliches Essverhalten, plötzliche kleine Hitzeschübe, und das untrüglichste Zeichen, die Periode, an die man sich endlich, nach all den Jahren gewöhnt hatte, die regelmässig kam und ging, kommt nicht. Oder sie kommt wann anders, oder nur ein bisschen.

Es dauert natürlich seine Zeit bis der Frau bewusst wird, sie ist nicht schwanger, sie wird nur alt. Und eh sie das dann akzeptiert, oh da fliesst viel Wasser die Niagarafälle hinunter. Und ich weiss, wovon ich spreche. Deshalb interessiert mich das Thema ja.

Ich bin jetzt in einem Alter, wo man als Frau nicht mehr älter wird. Man wird sogar jünger, je nach Anlass.

Was habe ich nicht alles getan, um jung zu bleiben. Nein, keine Schönheitskuren, auch keine Chirurgie. Ich bin noch einmal zur Schule gegangen, ich habe studiert und das mit zehn Jahre jüngeren Frischlingen, die direkt aus Mamis Schoss durchs Abitur bis zur Uni gekullert waren.

Da fühlte ich mich nicht nur jung, es machte mich auch jünger. Sich mit Ende zwanzig noch mal mit schrägen Ebenen zu beschäftigen, Vokabeln lernen und das Periodensystem der Elemente auseinander zu nehmen, hält nicht nur geistig jung. Man sieht auch jünger und frischer aus.

Und dann natürlich durch die Kinder. Die kamen schön in regelmässigen grösseren Abständen. Somit gibt es bis heute kleine Kinder im Haus. Und das hält jung. Das macht auch Falten und graue Haare, das will ich nicht leugnen. Doch das sind ja dann Lachfalten oder Sorgenfalten, letztere gehen im besten Fall wieder weg.

Und nun, mit «37» stellte ich Veränderungen an mir fest. Hellbraune Flecken auf den Händen und im Gesicht, die Strähnen im Haar sind nicht hellblond, sondern grau, ich bevorzuge jedoch den Ausdruck silbern, das klingt wenigstens etwas edel, und eben diese merkwürdigen Stimmungsschwankungen. Ich war noch nie ausgeglichen, doch das nahm jetzt überhand.

Ohne jeden Grund hätte ich losheulen können. Tiefe Traurigkeit, Sorgen und Ängste quälten mich. Und dann wurde es mir bewusst, die Ängste und Sorgen hatten seine Berechtigung, mein Leben war vorbei. Alles was mir, an mir bis jetzt so wichtig war, worauf ich stolz war, glitt mir aus den runzligen Händen.

Meine Jugend, meine Fruchtbarkeit, meine Schönheit verlassen mich. Ab jetzt werde ich mich mit haltlosem Bindegewebe, mit hängenden Brüsten und faltigem Hals herumschlagen müssen. Und darum wird dieser Wechsel der Jahre nicht gefeiert.

Aber, ich bin noch Zwischen den Jahren. Noch bin ich nicht alt. Und wer weiss, wann ich das werde. Ich bin auch nicht mehr jung. Was nicht unbedingt schlecht ist. Denn ich habe, nun wo ich mich damit abgefunden habe, keine Kinder mehr in diese Welt setzten zu können, was ich auch nicht mehr vor hatte, anderen Qualitäten an mir mehr Aufmerksamkeit geschenkt.

Ich komme an, in mir. Ich weiss, wer ich bin, bin stolz auf die Dinge, die ich leiste, akzeptiere das, was ich nicht kann und beginne mich zu lieben. Verrückt, dass das so spät im Leben eintritt.

Klar hab ich noch viele Jahre vor mir. Ich könnte noch 40 Jahre leben. Doch leider verblühe ich dabei mehr und mehr. Trotzdem muss gefeiert werden. Denn, wie ein neues Jahr, beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt. Und zwar einer, wo ich mich sehr zu schätzen weiss.

Mit diesen Worten 10  9  8  7  6  5  4  3  2  1  Prost.