Das Haus

Das Haus

Ich bin ein letztes Mal zu diesem Haus zurückgekehrt. Weiss und weich hängen Nebelfetzen wie Watte an den Bergen. Es ist kühl und feucht. Die Sonne versucht unentwegt durch die dicken Wolken zu brechen. Vergebens. Es bleibt ein regengetrübter Tag.

Mechanisch bewegen sich meine Schritte über den zerrissenen Asphalt. Es gibt nichts, was mir im Weg steht. Nichts was mich aufhalten könnte. Mein Herz bebt in meinem zitternden Körper. Wütend hämmert es gegen meinen Brustkorb. Plötzlich schlägt mir der betäubende Geruch des Flieder entgegen und mein Herz steht fast augenblicklich still.

Die alten Sträucher, fast 6m hoch, hüllen das 3-stöckige Gebäude beinahe gänzlich ein. Der erste tiefe Atemzug des süsslichen Duftes zieht mich augenblicklich in die dunklen Schatten, die hinter den weissen, duftenden Schaumkronen verborgen liegen. Das dichte Laub lässt nur wenig Licht hindurch. Im Inneren, der Hauswand zugewandten Seite, sind die Äste karg und blattlos. Mein Blick tastet sich durch das bizarre Gewirr der Zweige. Dann entdecke ich sie.

Die braune Tür ist kaum wahrzunehmen., ziehen doch die letzten leuchtend roten Tulpen die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Doch ich kenne sie zu gut, als dass sie mich jetzt der Massen ablenken könnten.

Ich muss ganz nah an die Sträucher herantreten, um etwas erkennen zu können. Der Fliederduft ist jetzt so intensiv, dass er mir fast die Sinne raubt. Immer wieder schliesse ich die Augen, ertrinke für einen Moment in Erinnerungen. Doch das tiefe Summen einer dicken Hummel lässt mich erschrocken auffahren. Ich muss mich sammeln. Tief atme ich ein. Regentropfen hängen an den Blütentrauben und benetzen mein Gesicht. In kleinen Rinnsalen laufen sie über meine blassen Wangen.

Da ist noch immer die Tür. Die braune Tür. Zwei flache Betonstufen, ein Eisengitter und die Schaufel. Sie steht nach wie vor rechts neben der Tür. Gerade so, als hätte man sie eben dort, nach harter Gartenarbeit, abgestellt. Die wenigen Steinplatten zur Tür sind mit Löwenzahn und Klee überwuchert. Doch der Weg, eine kleine Schneise in der Wildnis, ist noch erkennbar.

Ich wage es nicht, die wenigen Schritte zu gehen. Nicht, die bronzene Türklinke zu berühren. Nicht, durch die matte Scheibe der Tür ins dunkle Innere zu blicken.

Ein Kuckuck ruft. Erinnerungen umkreisen mich. Nur wenige Meter entfernt, stehe ich mit nassen Wangen auf dem feuchten Asphalt.

Mein Magen verkrampft sich plötzlich. Mir wird übel. Trommeln, wilde Trommeln tönen in meinen Ohren. Alles dreht sich. Ich greife einen Stein, der am Strassenrand liegt und werfe damit das Fenster der Tür ein. Alles erstarrt. Scherben fliegen sekundenlang durch die Luft. Dumpf poltert der Stein im Inneren auf den Holzboden.

Reglos stehe ich auf der Strasse und sehe den entweichenden Geistern  zu. Vorsichtig entferne ich mich rückwärts.

Nun, wo sie weg sind, kann auch ich endlich gehen. Zögernd und ohne mich noch einmal umzudrehen, verlasse ich den Fliederduft und atme in der frischen Frühlingsluft befreit durch.