Die kleine Königin und der Wunschzettel

Die kleine Königin und der Wunschzettel

Ohh, was ist denn das? Die kleine Königin sass, kniete am grossen Esstisch und kritzelte gelangweilt auf einem Stück Papier herum. Königinnen dürfen auf dem Stuhl knien, das ist sogar ein Gesetz. Und Gesetze sind dafür da, dass man sie macht.

Ganz majestätisch kniete sie dort, in ihrem sonnengelben Majestätsmantel und dem winzigen glitzernden Krönchen auf dem Kopf.

Die kleine Königin war sehr klein. Sie kann gerade noch über den Tisch sehen, wenn sie daran vorbei geht. Auch, wenn sonst alle in Grüntal viel, viel grösser waren als sie, die kleine Königin war die Bestimmerin. Sie war schliesslich die Königin.

Mürrisch hockte sie am Tisch. Sie seufzte. Malte Kreise und Kringel und seufzte wieder.

«Meine hochverehrte Königin, ist ihnen heute nicht wohl zumute?», fragte ihr erster Berater. Er sass ebenfalls am Tisch und erledigte Staatspapiere, die zu unwichtig waren, als dass sich die kleine Königin selbst darum kümmern müsste.

«Wohl, ist mir wohl», sagte die kleine Königin. Sie kritzelte noch drei Kreise aufs Papier. Dann nahm sie den Stift zum Mund. Sie dachte nach. So machte man das nämlich, wenn man nachdenkt. Man schaute ganz verträumt, mit zusammen gekniffenen Augen in die Luft, nahm den Stift oder einen Finger, wenn man gerade keinen Stift hatte,an den Mund und klopft sogar damit gegen die Zähne. Wenn man über etwas ganz, ganz wichtiges nachdachte. Und die kleine Königin dachte gerade über etwas ganz wichtiges nach.

Der erste Berater sass steif und in seine Staatspapiere vertieft da. Er kratzte sich die buschigen Augenbrauen und brummte leise vor sich hin.

«Wohl, wohl, ist mir wohl», sagte die kleine Königin. Jetzt etwas nachdenklicher und wichtiger, damit der erste Berater auch mitbekam, dass es sich bei ihrer Nachdenklichkeit, um etwas ganz wichtiges handelte, etwas von bedeutender Wichtigkeit, sogar.

Und der erste Berater bekam es auch mit. Er war nämlich sehr schlau, fast so schlau, wie die kleine Königin. Er sah von seinen Papieren auf.

«So, dann ist ihnen ganz wohl, Majestät», sagte er nickend. «Und ich kann ihnen nicht helfen, oder sie gar beraten? Denn das ist ja mein Beruf, Berater», sagt der erste Berater stolz. Und er setzte sich noch gerader hin, streckte seine Brust heraus und reckte das Kinn.

Die kleine Königin dachte nochmal nach und atmete ganz tief und geräuschvoll.

«Was machst du da?» Die kleine Königin zeigte auf den Papierstapel.

«Staatspapiere bearbeiten», sagte der erste Berater.

«Mmmm. Ich verstehe.» Die kleine Königin krabbelte auf den Tisch und schaute sich die Papiere genauer an.

«Das machst du aber schon sehr gut», sagte sie aufmunternd. Denn der erste Berater sah bei seiner Aufgabe nicht sehr glücklich aus. Sicher war es fast zu schwer für ihn Staatspapiere zu bearbeiten.

Die kleine Königin kletterte zurück auf ihren Stuhl.

«Das mache ich auch. Also Papierkram. Das ist von höchster Wichtigkeit, nämlich.» Die kleine Königin riss das vollgekritzelte Blatt Papier von ihrem Schreibblock und begann ein neues Blatt.

Das sah sehr anstrengend aus. Sie schrieb. Buchstaben. Leise sprach sie diese mit. Ihr erster Berater sah nun neugierig zu ihr herüber. Was schrieb die Königin denn nur wichtiges?

Es dauerte eine ganze Weile, doch dann war sie fertig. Man musste sich viel Zeit nehmen, für so wichtige Sachen. Zufrieden schaute sie auf das Papier. Striches glatt, denn vom Schreiben war es ein wenig knidderig geworden. Sie stand auf und ging zu ihrem ersten Berater. Dort legte sie ihr Schreiben oben auf die Staatspapiere.

«Kümmere dich darum, das ist von oberster Wichtigkeit. Die aller Oberste!» Dann verliess die kleine Majestät den Kronsaal.

Der erste Berater sah sich das Blatt Papier an. Es war sehr schwer die Buchstaben lesen zu können. Ganz königlich sahen sie aus und von königlicher Wichtigkeit waren sie. Das begriff der erste Berater sofort. Er sprang auf und rannte in die Küche. Dort knetete die dicke Köchin einen mächtigen Plätzchenteig.

Die Schüssel war so gross, dass die kleine Königin im Sommer darin gebadet hatte. Doch nun war Winter und da brauchte die Köchin die Schüssel für die köstlichen königlichen Weihnachtsplätzchen.

Der erste Berater zeigte der Köchin das wichtige Papier.

«Was ist das?», fragte sie. Denn die Köchin war gar nicht gut im Lesen. Der erste Berater flüsterte ihr die Worte ins Ohr. Da blieb der Köchin der Mund offen stehen und nur ein leises Piepsen kam heraus.

«Der königliche Wunschzettel», sagte nun der erste Berater etwas lauter. «Und die Königin, unsere Majestät hat einen ganz besonderen Wusch.» Nachdenklich rieb sich der erste Berater das Kinn. Er war der königliche Berater. Er musste sich um diese Dinge kümmern.

«Und was wünscht sich denn unser königliche Majestät?»

«M A M A und P A P A .»

«Unsere Königin wünscht sich Eltern?», fragte die dicke Köchin.

«Königliche Eltern», sagte eine majestätische Stimme hinter den Beiden. «Jawohl, ich wünsche mir königliche Eltern.» Die kleine Königin war in die Küche gekommen. Sie schob einen Stuhl vor sich her und blieb vor dem Küchentisch mit der grossen Schüssel stehen. Geschickt kletterte sie auf den Stuhl und schaute prüfend auf den Plätzchenteig.

«Sehr gut, wie du das machst», lobte sie die Köchin.

Die dicke Köchin freute sich. Sie gab der Königin eine kleine Teigrolle und Ausstechformen, denn nun wollten sie königlichen Plätzchen backen. Das machten sie immer zusammen. Sonst waren es ja keine königlichen Plätzchen, wenn nicht die Königin sie selbst persönlich ausgestochen hätte.

Der erste Berater ging. Er wollte dem Mehlgestöber entgehen und sich lieber um das königliche Weihnachtsfest kümmern.

«So so», sagte die dicke Köchin, «königliche Eltern wünscht sich unsere Majestät.»

«Jawohl», antwortete diese.

«Und warum? Wenn ich fragen darf.», fragte die Köchin und legte kleine Kronen auf das Backblech.

«Weil Eltern ganz nützlich sind. Die räumen die Spielsachen auf und saugen unterm Bett Staub», sagte die kleine Königin und stach Diamanten und Schatztruhen aus.

«Aber das macht doch das Stubenmädchen. Wenn wir königliche Eltern haben, hat sie nichts mehr zu tun». sagte die Köchen. Die kleine Königin dachte nach.

«Dann brauche ich sie zum Pusten, wenn ich mir den Kopf oder das Knie angeschlagen habe.»

«Das mache doch ich», sagte die Köchin nun traurig. Wahrscheinlich hatte sie nun Angst, dass sie das nicht gut genug machte und ersetzt werden sollte. Die kleine Königin strich der Köchin über den Arm.

«Ja, das machst du. Und du kannst das richtig gut.»

«Aber Eltern sind für noch ganz viele andere Sachen gut. Sie schimpfen, wenn etwas falsch ist.»

«Das macht der Obersekretär auch.»

«Sie waschen die Wäsche.»

«Das mache ich.»

«Sie bringen einen ins Bett.»

«Das mache auch ich und der erste Berater.»

Nun wurde die kleine Königin traurig und sie sagte leise. «Sie kuscheln einen und nehmen einen ganz fest in den Arm.»

Da wusste die dicke Köchin auch nichts mehr zu sagen. Sie brummte nur zustimmend und schob das Plätzchenblech in den Ofen.

Schnell waren Millionen Plätzchen gebacken, denn die kleine Königin war eine sehr gute Plätzchenbäckerin und das Thema Wunschzettel war auch vergessen.

Dann war endlich Weihnachten. Vor den grossen Fenstern des Kronsaals schwebten Hühnerei grosse Schneeflocken zu Boden und im Saal war es herrlich warm und gemütlich.

Der erste Berater hatte alle Kerzen angezündet und unter der königlichen Weihnachtsleiter lagen viele Geschenke. In Grüntal war es nämlich Brauch eine Holzleiter weihnachtlich zu schmücken, mit Tannengrün, Kugeln und Lichtern. Die Geschenke lagen alle darunter und wenn man alle Geschenke ausgepackt hatte, ging man unter der Leiter hindurch. Das war so Brauch. Das sollte nämlich Glück bringen und viele Geschenke im nächsten Jahr.

Die kleine König strahlte. So viele Geschenke und alles glänzte und glitzerte wahrhaft königlich.

Der erste Berater und die dicke Köchin standen neben der Weihnachtsleiter und sangen königliche Weihnachtslieder. Die kleine Königin trippelte in Pantoffeln auf die majestätisch geschmückte Leiter zu. War das eine Pracht. Dann suchte sie zwischen den Geschenken, doch keines schien gross genug für königliche Eltern zu sein. Sie begann die Päckchen auszupacken und ein Geschenk war schöner, als das Andere und wahrhaft königlich waren sie alle. Kein Wunsch blieb offen, nicht einmal die Wünsche, die die kleine Königin noch nicht einmal selber gewusst hatte. Nur …

Als alle Geschenke ausgepackt waren, sah die Königin ihre Köchin und den ersten Berater an. Sie wirkte sehr ernst, weil die königlichen Eltern nicht dabei gewesen waren.

Die dicke Köchin sah zweifelnd zum ersten Berater, dieser nickte ernst.

Da knieten sich beide hin. Sie nahmen vorsichtig die kleine Königin in die Arme und drückten sie ein bisschen, königlich fest eben. Die Umarmung dauerte eine feierliche Weile. Dann lösten sie sich voneinander und sahen sich an. Die kleine Königin nickte aufmunternd.

«Ist schon gut. Vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr, mit den königlichen Eltern», sagte sie. Dann nahm sie die Hand der Köchin, diese packte den ersten Berater und sie tanzten unter der königlichen Weihnachtsleiter hindurch.

Und tanzten und tanzten bis sich die Weihnacht sanft über sie legte.